: „Zehn Jahre Rawlings sind genug“
Präsidentschaftswahlen in Ghana/ Am „Chairman“ scheiden sich die Geister/ Der Konkurrent: Engagierter Demokrat und Professor/ Anhänger Nkrumas hoffnungslos zerstritten ■ Aus Accra Golo Frei
Auf den ersten Blick kommt es einem schon seltsam vor. Ein afrikanischer Staatschef, Oberbefehlshaber der Armee und Sprecher einer Militärregierung, forderte seine BürgerInnen am 31. Oktober auf, sich zu bewaffnen, um die Demokratie zu verteidigen.
Noch seltsamer jedoch, wenn der gleiche Mann selbst durch einen Militärputsch an die Macht kam. Dies vor zehn Jahren, gegen eine demokratisch gewählte Regierung, die gerade zwei Jahre alt geworden war.
Die Rede ist von Fliegerleutnant Jerry John Rawlings, erster Mann in Ghana. 1981, am 31.Dezember, putschte der damals 34 Jahre junge, in England ausgebildete Militär gegen die Zivilregierung unter Hilla Limann. Der Putsch stieß auf keinen Widerstand. Die Zivilregierung war unbeliebt und wurde der ökonomischen Schwierigkeiten nicht Herr. J.J.Rawlings war beliebt. Jung und umgeben von einem charismatischen, sozial-revolutionären Image, schuf er damals nicht nur für Ghana, sondern weit über dessen Grenzen hinaus ein neues Bild des afrikanischen „leaders“.
Heute, zehn Jahre später, hat die Aura des damals von weiten Teilen der Bevölkerung getragenen Revolutionärs Risse bekommen. Und auch die politische Landschaft sieht auf einmal anders aus. Am gestrigen Dienstag fand in Ghana seit 13 Jahren wieder eine Präsidentschaftswahl statt, und die Opposition hatte sich formiert. Der Militär Rawlings sah sich gezwungen, in den plebiszitären Reigen einzusteigen, will er weiterhin an der Macht bleiben.
Rawlings demokratisches Bäumchen-wechsle-dich-Spiel ist kein Einzelfall im heutigen Afrika nach dem Ende des Kalten Krieges. Auch in Kamerun, Benin, Angola und einigen anderen afrikanischen Staaten finden sich Einparteienherrscher und Chefs von Militärregierungen plötzlich in demokratischen Kleidern wieder. So auch in Ghana. Rawlings ist seit dem Parteitag der regierungsnahen National Democratic Convention (NDC) am 19. September 1992, auf dem er seine Kandidatur bekanntgab, nur noch einer der möglichen Aspiranten auf den Präsidentenstuhl.
Die Reaktion der FrühaufsteherInnen, die sich am 1.November um die Zeitungsstände versammelten, um den Vorschlag zur massenhaften Bewaffnung zu diskutieren, war demzufolge auch weniger dramatisch als die Rede selbst. „Nur Wahlkampf“, sagt einer der Leser. Auf die Frage, ob er Jerry wählen würde, meint er lächelnd: „Nein, zehn Jahre sind genug.“
Zwar genießt der „chairman“ Rawlings, wie er hier genannt wird, noch Unterstützung. Doch das vor allem aufgrund der scheinbar erfolgreichen Wirtschafts- und Stabilitätspolitik unter seiner Regierung des Provisional National Defence Committees, PNDC. Doch auch wenn ihm selbst seine schärfsten politischen Gegner sein charismatisches Erscheinungsbild nicht absprechen, so hat er doch mittlerweile viele seiner ehemaligen Bewunderer verloren.
Intellektuelle enttäuscht über ihr Idol von einst
Vor allem in der Hauptstadt Accra, aber auch in den größeren Städten wie Kumasi oder Takoradi hat Rawlings seine Sympathien bei vielen verbraucht. Die bürgerliche Mittelschicht sowie die Intellektuellen sind enttäuscht von ihrem früheren Idol: Die allzu unterwürfige Haltung des PNDC-Chairmans gegenüber rigiden Strukturanpassungsauflagen von Weltwährungsfonds und Weltbank, die langanhaltende repressive Haltung bezüglich Presse und Meinungsfreiheit sowie die bekanntgewordenen willkürlichen Verhaftungen mißliebiger Oppositioneller haben die einstigen Sympathien weitgehend eingefroren.
„Wenn du J.J. heute zuhörst, hast du den Eindruck, er weiß nicht mehr, was er eigentlich sagt“, meinte ein Student, auf die zitierte Rede angesprochen. „In den Gefängnissen sitzen immer noch Landsleute, die sich seit Jahren für Demokratie und Meinungsfreiheit einsetzen.“ Nein, er würde ihn nicht wählen. Auf die Frage, wen er dann wählen würde, kommt eine klare Antwort. „Den Professor.“
„Der Professor“ heißt genaugenommen Professor Adu Boahene, 60jähriger Historiker an der „University of Ghana“, und ist der Präsidentschaftskandidat der liberal gesinnten National Democratic Party (NPP). Obwohl noch andere Parteien am Stichtag, dem 28. September, ihre Kandidaten benannt hatten, kann wohl davon ausgegangen werden, daß die Entschädigung zwischen „Professor“ und „Noch-Staatsoberhaupt“ J.J. fallen wird.
Adu Boahenes Chancen stehen gut, geht man vom enormen Zuspruch seiner Wahlkampfveranstaltungen und der – wenn auch schwer bestimmbaren – Stimmung überall im Land aus. Boahenes Popularität beruht vor allem auf seinem unerschrockenen Anprangern der Menschenrechtsverletzungen während der PVDC- Herrschaft. Öffentlich trat der kleingewachsene, aber energische Akademiker mit seinen im Jahre 1988 gehaltenen regimekritischen Vorlesungen in Erscheinung. In dieser Zeit, als noch von einer „Kultur des Schweigens“ in Ghana die Rede war, sowie mit seinem Vorsitz in der im Sommer 1990 gegründeten oppositionellen und illegalen „Movement for Freedom and Justice“ (MFJ) legte er den Grundstein für seine jetztige Popularität. Diese Reputation des „Profs“ sowie die Parteistruktur der NPP, die als die am besten organisierte der fünf Parteien gilt, könnte ihm letzten Endes zum Sieg verhelfen.
Die restlichen drei Parteien sowie deren Kandidaten, die sich alle gleichermaßen auf die Tradition und das panafrikanisch-sozialistische Gedankengut Kwame Nkrumahs, des Staatsgründers Ghanas, berufen, sind im Gegensatz zu den letzten Wahlen vor 13 Jahren hoffnungslos zerstritten. Die Nkuremaisten, die gerade durch die Berufung auf den nach wie vor legendären Staatsgründer und ersten Präsidenten Ghanas in den Wahlen von 1957, 1969 sowie 1979 immer auf respektable Wahlerfolge blicken und zweimal den Präsidenten stellen konnten, werden dieses Mal mit Sicherheit an ihrer Uneinigkeit und Profillosigkeit scheitern.
Der Wahlsieger braucht die absolute Mehrheit
Der milllionenschwere Hähnchenzüchter und Hyperchrist Kwabena Darko, Kandidat für die National Independence Party (NIP), dem man die Berufung auf Nkrumahs sozialistische Ideale nur ungern glauben mag, Ex-Präsident Hilla Limann für die Peoples National Convention (PNC) sowie Ex- PNDC-Mitglied, General Erskine, werden nicht mehr als Zünglein an der Waage sein.
Sollte jedoch nach Auszählung der Stimmen – das Ergebnis wird vermutlich erst am späten Donnerstag abend vorliegen – weder Rawlings noch Adu Boahene die erforderlichen 51 Prozent aller abgegebenen Stimmen erhalten, dürften die zerstrittenen Nkrumaisten für die dann am 28. November fällige Stichwahl eine wichtige Rolle spielen.
Wenn dieser Fall eintritt, wird sich Rawlings vermutlich einer Koalition „alle gegen einen“ ausgesetzt sehen. Konsens von NPP sowie NIP, PNC und PHP dürfte, das ist sicher, lauten: „Zehn Jahre Rawlings sind genug.“ Schon jetzt fordern nkrumaistische Politiker ihre Wähler auf, ihre Stimmen doch lieber gleich der NPP und Adu Boahene zu geben. Überraschend wurde dies am 26.Oktober in der regierungseigenen Zeitung Peoples Daily Graphic bekanntgegeben.
Neben den Zweifeln an Rawlings „neuen demokratischen Kleidern“ sowie seiner fast achtjährigen antidemokratischen Politik wird vor allem in der freien Presse ein diesbezügliches Zitat des Präsidenten wieder- und wiedergekäut. Rawlings Äußerung von vor Jahren, daß er „nicht an die Macht der Wahlurne glaubt“, wird ihm nun möglicherweise zum Verhängnis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen