Flüchtlinge suchen Aufnahmeländer

Kroaten lassen Flüchtlinge aus Bosnien nicht mehr über die Grenze/ Welche Scham für Westeuropa: nur ein paar hundert Plätze angeboten/ Auch Bundesrepublik zögert  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Während die Zahl der gewaltsam Vertriebenen in Bosnien-Herzegowina immer noch dramatisch ansteigt, sind Deutschland und andere westeuropäische Staaten weiterhin nicht bereit, auch nur annähernd ausreichende Flüchtlingskontingente aufzunehmen. Die Zukunft der Genfer Jugoslawien- Konferenz ist nach den Rückzugsdrohungen der bosnischen Serben vom Montag nach wie vor in der Schwebe. Ein für gestern geplantes Treffen des Serbenführers Radovan Karadžić mit dem Konferenzvorsitzenden Cyrus Vance kam zunächst nicht zustande.

Nach Auskunft des UNO- Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) sind allein in den letzten beiden Tagen mindestens 20.000 Menschen aus der von den Serben eroberten Stadt Jajce in der Region von Travnik eingetroffen. Die Möglichkeiten des UNHCR zur Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge sind längst erschöpft. Zahlreiche Menschen wurden in einem stillgelegten Kohlenbergwerk einquartiert. In dem Ort Posusje an der bosnisch-kroatischen Grenze sind in den letzten Tagen 4.000 Flüchtlinge eingetroffen. Die 4.000 Einwohner des Ortes haben bereits seit dem Sommer 3.200 Flüchtlinge in Familien aufgenommen. Weitere 700 Menschen hausen seit Wochen in dem völlig überfüllten Schulhaus von Posusje.

Dagegen wurden Flüchtlinge aus Bosnien an der kroatischen Grenze zurückgewiesen. UNHCR-Direktorin Sadako Ogata appellierte gestern erneut an die Regierung von Kroatien, die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, die in andere Staaten weiterreisen sollen. Doch die Behörden in Zagreb befürchten, daß die Flüchtlinge angesichts der Weigerung Westeuropas zur Aufnahme großer Kontingente auf Dauer in Kroatien bleiben. In Kroatien leben bereits rund 700.000 bosnische Flüchtlinge. Bis gestern hatte das UNHCR insgesamt nur Zusagen für die Aufnahme von 2.500 Flüchtlingen erhalten (USA 1.000, Frankreich 300, Norwegen 200, Niederlande 200, Schweiz 208 plus Familienangehörige, Finnland 200, Österreich 167, ČSFR 150, Schweden 150, Spanien 50, Italien 50). Auf die seit über eine Woche vorliegende Bitte des UNHCR zur Aufnahme von 362 Lagerinsassen, die nach eigenen Angaben Verwandte in Deutschland haben, hat die Bundesregierung zwar eine grundsätzliche Zusage gegeben. Doch noch laufen die Abklärungen mit den Bundesländern, die die Flüchtlinge letztendlich aufnehmen müssen.

In Genf wurden gestern keine Gründe genannt, warum das für den Morgen geplante Treffen zwischen dem Unterhändler der Vereinten Nationen, Vance, und dem bosnischen Serbenführer Karadžić zunächst nicht zustande kam. Vance hatte sich von der Begegnung Aufklärung erhofft über den Beschluß des „Parlaments“ der „Serbisch-Bosnischen Republik“ vom Montag über einen Rückzug von der Genfer Konferenz. Das „Parlament“ hatte als „Bedingung“ für eine weitere Konferenzteilnahme die „offizielle Anerkennung der Serbisch-Bosnischen Republik“ sowie des „Rechts auf Selbstbestimmung“ verlangt. Diese Forderung ist mit den Grundprinzipien der Genfer Konferenz ebensowenig vereinbar wie der Beschluß der bosnischen und der kroatischen Serben vom letzten Samstag über eine Vereinigung der derzeit von ihnen kontrollierten Territorien. Karadžić' Stellvertreter Koljevic informierte Vance gestern morgen über diesen Beschluß. Auch auf mehrfache Nachfragen hin haben sich Vance und sein Ko-Verhandler David Owen bislang geweigert, zu diesem Beschluß Stellung zu nehmen.

Unterdessen setzten serbische Truppen ihre Angriffe in Bosnien- Herzegowina fort. Vor allem im Norden, in der Save Ebene und auch um die Industriestadt Tuzla kam es zu schweren Kämpfen. Die serbischen Streitkräfte zielen auf die Eroberung des Majevic-Gebirgszugs, von dem aus sie die Stadt Tuzla ernsthaft bedrohen können.