Atompolitik im Windschatten

Während in Salzgitter über ein atomares Endlager debattiert wird, versucht die Atomindustrie andernorts, Fakten zu schaffen  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) – Im Windschatten der Anhörung über das geplante Atommüllendlager im Schacht Konrad treibt die Atomwirtschaft den Bau von Zwischenlagern voran und will diese bereits nutzen, bevor es überhaupt Betriebsgenehmigungen gibt. Betroffen sind vor allem die Standorte Gorleben und Lubmin bei Greifswald.

In Greifswald geht es um ein Atommüll-Zwischenlager mit einer Kapazität von fast 200.000 Kubikmetern. In Gorleben dagegen soll mit 150.000 Kubikmetern nicht nur ein zusätzliches Zwischenlager für radioaktiven Müll entstehen, zeitgleich wird auch die Zwischenlagerung hochradioaktiver abgebrannter Brennelemente in sogenannten Castorbehältern vorangetrieben – und das, obwohl das Endlager Gorleben wegen Verfahrensproblemen gerade in noch weitere Ferne rückt.

Die Brennelementelagergesellschaft Gorleben (BLG), eine Tochter der atomkraftnutzenden Stromkonzerne, will nach eigenen Angaben noch vor Weihnachten die ersten Castorbehälter ins Wendland transportieren, für die es laut BLG-Geschäftsführer Hans-Otto Willax im Augenblick 420 Stellplätze gibt. Als Absender der zigtonnenschweren strahlenden Lieferung, so Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, seien die Atomkraftwerke Biblis und Gundremmingen im Gespräch.

Mit einem Trick könnte nun aus dem Zwischenlager in Gorleben schnell eine Art oberirdisches Endlager werden – nämlich wenn das geplante Endlager im Salzstock nicht gebaut wird und der Atommüll im Zwischenlager sozusagen „hängenbleibt“. Für die weitere Untersuchung des Salzstocks in Gorleben, die eigentlich noch bis nach der Jahrtausendwende dauern sollte, fehlt nämlich ab Januar 1993 der Rahmenbetriebsplan. Das heißt, die Erkundungsarbeiten in Gorleben müssen eingestellt werden, die beiden 345 Meter und 280 Meter tiefen Schächte im Salz könnten nicht weiter gegraben werden.

Wie und ob die Erteilung eines neuen Rahmenbetriebsplans möglich ist, versucht derzeit das Oberbergamt Clausthal-Zellerfeld zu sondieren. Für eine solche Betriebsgenehmigung ist allerdings eine Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig. Die sieht eine weitgehende Öffentlichkeitsbeteiligung vor und muß nach Recht und Gesetz stets eine Nullvariante prüfen, also untersuchen, ob auf das begutachtete Projekt, die Untersuchung des Salzstocks, vielleicht verzichtet werden kann.

Die Gorlebener AtomkraftgegnerInnen verlangten in einer Erklärung von der Landesbehörde Bergamt „den gesamten Sachverstand auf das politisch erklärte Ziel des Ausstiegs aus dem Endlagerprojekt“ zu konzentrieren. Der Justitiar des Bergamtes, Groth, dämpfte allerdings auf einer Sitzung in Gorleben die Erwartungen: Die Behörde könnte übergangsweise einen „eingeschränkten Betrieb“ dulden. Möglicherweise, so Groth, sei sie sogar dazu verpflichtet, damit die schon ins Salz gegrabenen Schächte nicht einstürzten.

Bei den Gorlebener AtomkraftgegnerInnen kommt trotz dieser kleinen Erfolge keine rechte Freude auf. Die Atomindustrie nämlich hatte das klandestin geplante Zwischenlager mit Verzögerungen beim Bau des Endlagers Schacht Konrad begründet. Für den Müll, der dort gelagert werden soll, seien dringend Ausweichkapazitäten nötig, so ein BLG-Sprecher. Alle Abfallarten, die in den Schacht Konrad sollten, könnten dann schon ab Ende 1994 auch in Gorleben zwischengelagert werden. Teile und herrsche, könnte das Motto der Atomindustrie bei ihrem Vorgehen lauten. Doch die GorlebenerInnen beharren darauf, daß sie sich nicht gegen die BürgerInnen Salzgitters ausspielen lassen würden. Sie seien auch nicht bereit, die „unverantwortliche Chaospolitik“ der Bundesregierung (Ehmke) mitzutragen. Angesichts der ungeklärten Entsorgung sei nur „der Ausstieg aus der Atomenergie verantwortbar“.

Wie chaotisch die euphemistisch Entsorgung genannte Atommüllpolitik im Augenblick tatsächlich abläuft, hatte kürzlich Eduard Bernhard vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) auf der Schacht-Konrad- Anhörung in Salzgitter demonstriert. Bernhard monierte, daß das geplante Endlager schon heute von Atomkraftwerksbetreibern, zum Beispiel in Niederaichbach, als Entsorgungsnachweis geführt werde. Mit anderen Worten: diese Betreiber dürften für ihre behördliche Genehmigung so tun, als sei das Endlager im Schacht Konrad schon beschlossen. Gleichzeitig versuche das Bundesumweltministerium in Bonn immer noch den Eindruck zu erwecken, es handele sich bei der laufenden Erörterung des Endlagers um einen „ergebnisoffenen Entscheidungsprozeß“, der eine Entscheidung gegen ein Endlager Schacht Konrad also auch von Seiten der Bundesregierung möglich mache.