Jugend 92: Angepaßt, ruhig und sanft

Viel Zukunftsoptimismus und erstaunlich breite Verurteilung von Gewalttaten/ Mädchen haben weniger Geld/ Von der offiziellen Politik fühlt sich fast jedeR neunte betrogen  ■ Aus Berlin Annette Rogalla

Angesprochen auf die Zukunft der bundesrepublikanischen Gesellschaft halten zwei Drittel aller Jugendlichen es mit ihrem Fernsehstar Alf: „Null problemo.“ Gleichermaßen zuversichtlich sind die jungen Menschen zwischen 13 und 29 in Ost- wie Westdeutschland. Ein überraschend positives Ergebnis, mit dem die Shell-Jugendstudie gestern in Berlin aufwartete.

Klüfte zwischen Ost und West machen sich vor allem im Alltag bemerkbar. Die Jugendlichen in den neuen Bundesländern haben weniger Geld zur Verfügung, besonders die, welche älter als 19 sind. Im Schnitt hat ein Westler doppelt soviel Geld in der Tasche wie sein Alterskollege im Osten. Im Osten leben 35 Prozent der 21 bis 24jährigen von Staatsknete, meist Stipendien oder Arbeitslosengeld. Im Gegensatz zu den Männern sind die jungen Frauen in West wie Ost schlechter bei Kasse.

„Zu den besonderen Verlierern der Einheit“ zählen für Jugendpsychologe Arthur Fischer die Ostfrauen. Früh verheiratet und früh Mutter geworden, stehen für sie weniger Kindergartenplätze zur Verfügung, noch haben sie gute Aussichten auf dem Arbeitsmarkt.

Die Ostdeutschen werden schneller erwachsen. Die Westdeutschen verlängern die Jugendzeit gerne durch reichliche Ausbildungszeiten und langes Unterkommen bei den Eltern – vor allem westdeutsche Jungs bleiben länger am heimischen Tisch kleben.

Bereits drei Jahre nach dem Mauerfall haben die Jugendlichen in beiden Teilen Deutschlands ähnliche politische und moralische Wertvorstellungen. So verurteilen 98 Prozent Gewalt gegen Personen. Out sind vor allem Fußball- Hooligans (89 Prozent) und Skinheads (82).

An dritter Stelle rangieren mit 59 Prozent okkulte Gruppen, was deren angeblichem Boom in den neuen Ländern widerspreche, sagte Fischer.

Noch vor zehn Jahren hatten 86 Prozent der Jugendlichen in Westdeutschland die terroristische Rote Armee Fraktion verurteilt, gefolgt von nationalen Gruppierungen (74) und Rockern (69). Nur zwei Prozent der Jugendlichen befürworteten Gewalt zur Durchsetzung politischer Ideen. Sie halten Umfragen, wonach ein Drittel aller Jugendlichen starke rechtsnationalistische Gedanken haben, für nicht belegbar.

Jedoch fragte die Shell-Studie erst gar nicht nach Einstellungen zu Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit. Bemerkenswert, wie weit die Studie den Begriff der „politischen Gewalt“ faßt: genehmigte wie nicht genehmigte Demonstrationen, Straßenblockaden, Sachschäden und Gewalt gegen Personen. Sehr ungenau zeichnen die Forscher das „Profil“ eines jugendlichen Gewalttäters. Es seien Jungen und Mädchen, die in der Gesellschaft schon früh hohen Belastungen ausgesetzt worden seien.

In den letzten zehn Jahren hat das Engagement in Friedens- und Umweltbewegungen erheblich nachgelassen. Die Jugendlichen finden Aktionen dieser Gruppen zwar gut, doch nehmen immer weniger aktiv daran teil. Fischer: „Man beklatscht diese Gruppen, läuft aber nicht selbst auf dem Rasen auf.“ Insgesamt sind die Jugendlichen im Osten der Studie zufolge „politisch bewußter“ als ihre Altersgefährten im Westen. Vor allem die Mädchen in den neuen Ländern zeigten größeres politisches Interesse.

Auf „extrem starke Ablehnung“ stößt der Studie zufolge die „offizielle Politik“. 87 Prozent der jungen Menschen fühlten sich von Politikern belogen und betrogen. „Mit Politik haben sie nichts mehr am Hut“, sagte Fischer. Diese starke Ablehnung bleibe im Moment aber noch „unter der Decke“, weil viele Jugendliche glaubten, selber mit den Problemen fertigzuwerden. Hinter dem gesamtdeutschen Optimismus verberge sich das gleiche Wir-schaffen-das-schon-Gefühl wie in den fünfziger Jahren. Die deutsche Jugend sei der Generation ihrer Großeltern ähnlich.