Kein Denkkzettel für Karlsruhe

Das Stammheimer Urteil gegen Peter-Jürgen Boock und Christian Klar verschlechtert für die früheren RAF-Mitglieder die Chancen auf eine Perspektive nach dem Knast  ■ Aus Stuttgart Gerd Rosenkranz

Bundesanwalt Rainer Griesbaum machte es sich hinter seinem Anklägertisch bequem. Gerade hatte der Vorsitzende Richter des 2. Strafsenats des OLG Stuttgart, Herbert Schmid, all jene enttäuscht, die auf einen Denkzettel für die Karlsruher Anklagebehörde gehofft hatten. „Die Frage, ob dieses Verfahren notwendig war oder nicht, stellt sich nach den gesetzlichen Vorschriften nicht“, meinte Schmid. Der lapidare Satz steht in gewissem Kontrast zu Schmids mehrfachen Versuchen, die Bundesanwaltschaft im Verlauf des Prozesses gegen Christian Klar und Peter-Jürgen Boock von der Überflüssigkeit dieser Stammheimer Neuauflage zu überzeugen.

Das Gericht wies den Mordvorwurf im Zusammenhang mit dem mißglückten Züricher Bankraub zurück. Ob die unglückliche Passantin in der Ladenpassage von den flüchtenden RAF-Mitgliedern oder aber einem verfolgenden Polizisten erschossen wurde, bleibt damit weiter ungeklärt. Trotzdem erreichte die Bundesanwaltschaft ihr Ziel: Christian Klar erhielt erneut eine lebenslange Freiheitsstrafe. Wichtiger: Seine Chancen auf eine Perspektive jenseits der Mauern sind mit dem gestrigen Spruch weiter gesunken.

Als Reaktion auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juni fühlte sich der 2. Strafsenat nämlich verpflichtet, nicht nur den Züricher Bankraub, sondern das gesamte Strafregister des RAF- Gefangenen, das ihm bereits 1985 eine mehrfach lebenslange Freiheitsstrafe eingebracht hatte, zu gewichten. Die Karlsruher Bundesrichter hatten den Gerichten aufgegeben, künftig generell bei lebenslangen Freiheitsstrafen Aussagen über die sogenannte „Schwere der Schuld“ zu treffen. Das OLG kam dieser Forderung nun praktisch nachträglich nach. Klars frühere Taten, so das Gericht, seien „zweifelsfrei von besonderer Schuldschwere geprägt“. Die Tatsache, daß das OLG im aktuellen Fall des Banküberfalls von Zürich diese besondere Schuldschwere nicht erkennen mochte, nutzt dem Gefangenen deshalb wenig: Seine Chancen, nach fünfzehn Jahren vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden, tendieren seit gestern gegen null.

Noch schlimmer traf es, trotz des scheinbar milden Urteils, den unfreiwilligen Kronzeugen Peter- Jürgen Boock. Denn Boock, der sich bereits vor seiner Festnahme im Jahr 1981 von der Gruppe getrennt hatte, konnte bisher davon ausgehen, den Knast spätestens 1996, nach Verbüßung von fünfzehn Jahren, als freier Mann zu verlassen. Doch das Gericht, das „erhebliche Schwierigkeiten“ bei der Interpretation des Spruchs der Verfassungsrichter eingestand, kam auch im Fall des RAF-Aussteigers zu dem Ergebnis: Aufgrund früherer Taten sei das Kriterium der besonderen Schuldschwere erfüllt. Zwar sei eine „Neugewichtung“ der alten, rechtskräftigen Urteile gegen Boock, wie es die Bundesanwaltschaft verlangt hatte, nicht möglich. Die bereits rechtskräftig festgestellte Beteiligung des RAF- Aussteigers bei der versuchten Entführung und Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto im Jahr 1977 reiche jedoch aus, die besondere Schuldschwere festzustellen. Boock hatte seinerzeit das Fluchtauto gesteuert.

Die Bundesanwaltschaft hatte argumentiert, im rechtskräftigen Urteil gegen Boock aus dem Jahr 1986 seien seine Tatbeiträge – insbesondere im Zusammenhang mit der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer – bei weitem unterbewertet. Erst seit der „Lebensbeichte“ des RAF-Aussteigers vom Frühjahr 1992 sei bekannt, daß er direkt an der Entführung Schleyers und der Ermordung seiner Begleiter beteiligt war. Weil ein rechtskräftiges Urteil nicht mehr geändert werden könne, müsse Boock die Schuldschwere eben im Fall des Züricher Banküberfalls – quasi stellvertretend – angelastet werden. Das OLG kam der Forderung der Bundesanwaltschaft vom Ergebnis her nach, ohne der Argumentation der Ankläger zu folgen.