In Bosnien kämpfen auch „Afghanen“

■ Islamische Freiwillige, die früher auf der Seite der Mudschaheddin in Afghanistan kämpften, verteidigen Bosnien auf der Seite der Muslimanen gegen die Serben

Als kroatische Truppen vor knapp zwei Wochen ihre muslimanischen Verbündeten aus der zentralbosnischen Stadt Travnik vertrieben, war unter den Gefangenen auch ein Araber. Mit seinem langen hennagefärbten Bart ist er in Bosnien schon fast eine Legende geworden: Abu Abdel Aziz, der Führer der „Mudschaheddin“, der islamischen Freiwilligenbrigaden. Inzwischen wurde er wieder freigelassen – „durch Intervention auf höchster Ebene“, wie die libanesische Tageszeitung Al-Hayat vom Montag zu berichten wußte.

„Die Serben wollen nicht alle Bosnier, sondern die Moslems unter ihnen ausrotten. Sie führen Krieg gegen den Islam. Es ist unsere religiöse Pflicht, unsere moslemischen Brüder zu verteidigen“, erklärte der 48jährige Vater von sieben Kindern in einem Interview, das letzte Woche von der arabischen Zeitschrift Al-Wasat veröffentlicht wurde. Die „Mudschaheddin“ in Bosnien kommen vom Golf und aus Jordanien, aus Syrien, dem Sudan und Algerien, der Türkei und dem Iran. „Wir haben Freiwillige aus insgesamt 25 Ländern, manche sind selbst aus Europa und Amerika angereist“, sagt Abu Abdel Aziz, der sich weigert, seine Nationalität preiszugeben. Er sei Araber, woher, das spiele für die „Mudschaheddin“ keine Rolle. Einer ihrer Märtyrer sei Mitglied der herrschenden Familie eines arabischen Landes. Erst bei der Ausstellung der Todesurkunde hätten sie seine Identität erfahren.

Man nennt sie auch die „Afghanen“, denn die meisten haben jahrelang in Afghanistan gegen das kommunistische Regime gekämpft. Wie viele von ihnen heute in Bosnien sind, will ihr Führer nicht sagen. Die Angaben westlicher Medien, die von 5.000 sprechen, seien übertrieben. „Es sind Hunderte, nicht mehr.“ Auch Abu Abdel Aziz war sechs Jahre in Afghanistan. Doch mit Nadschibullahs Sturz und dem Beginn des Bürgerkrieges war die Zeit der islamischen Freiwilligen vorbei. Bosnien war ein ideales Terrain zu Fortsetzung ihrer Mission, zumal die Bosnier auf den Krieg der Serben völlig unvorbereitet waren. Im Mai kamen die ersten von ihnen über Kroatien und eröffneten Trainingslager für bosnische Freiwillige. „Wir wollen das Niveau der Volksarmee in Bosnien heben. Wir haben Bosnier an Waffen ausgebildet, aber auch den Islam unterrichtet. Anders als in Afghanistan müssen wir damit viel Zeit verbringen, weil die Moslems sich in ihrer Religion nicht auskennen. Jeder Absolvent bekommt eine Kalaschnikow mit Munition und eine Handgranate. So ausgerüstet, ist er bereit zum Kampf.“

Die „Afghanen“ beteiligen sich auch selber an Kämpfen. Sie gelten als besonders furchtlos. „Jeder Moslem wünscht, als Märtyrer zu sterben. Das versteht der Westen nicht. Es geht uns darum, Gottes Wort Gehör zu verschaffen“, sagt Abu Abdel Aziz. Der Durchbruch des Belagerungsrings um Sarajevo am Igman-Gebirge geht vor allem auf ihr Konto. Anders als in den Trainingslagern, die ihnen direkt unterstehen, ordnen sich die „Afghanen“ in den Kämpfen der bosnischen Armeeführung unter.

Die „Afghanen“ sind keine Söldner, die von den Bosniern finanziert werden. An Geld mangelt es ihnen nicht. Sie finanzieren sich durch Spenden, vor allem aus den Golfländern. Doch es fehlt an warmer Kleidung für den Winter und an Waffen – aufgrund des Waffenembargos gegen alle Konfliktparteien in Ex-Jugoslawien. „In Afghanistan war es wegen der offenen Grenzen zu Pakistan viel einfacher. Du bist mit einem Lkw über die Grenze gefahren, und in ein paar Stunden war er vollgeladen. Hier kommt man sehr schwer an Waffen. Manchmal begegnet man zufällig jemandem, der einem eine Kalaschnikow oder zwei Artilleriegeschosse verkauft. Aber wir werden das Problem hoffentlich bald lösen.“ Abu Abdel Aziz und seine Mudschaheddin sind realistisch genug, sich in Bosnien anders als in Afghanistan nicht die Parole von einem islamischen Staat auf die Fahnen zu schreiben. Sie wissen, daß dies weder die Lage Bosniens im Herzen Europas noch die ethnisch-religiöse Zusammensetzung des Landes zulassen würde. Ivesa Lübben