Die Ära der alten Männer ist zu Ende

■ George Bush, 68, ehemaliger Bomberpilot, gibt die Macht dan den 22 Jahre jüngeren Bill Clinton ab. Nicht nur ein Generationswechsel

Die Ära der alten Männer ist zu Ende

Es war ohne Zweifel ein erfrischender Anblick: Bill Clinton, trotz 29 Stunden Schlafentzug und heiseren Stimmbändern, hatte ein ungläubig-seliges Lächeln im Gesicht. Al Gore sah endlich einmal nicht so steif und steinern aus wie einer seiner Sicherheitsbeamten. Der Mann klatschte wie ein Kind zu „Fleetwod Mac“-Songs und wäre beim Händeschütteln am liebsten vornüber in die jubelnde Menschenmenge gefallen, hätte ihn nicht einer vom Secret Service noch am Jackett gegriffen. So feiern Baby-Boomer ihren Einzug in das Weiße Haus – und das Ende der Ära der alten Männer.

Das nervenaufreibende Kopf- an-Kopf-Rennen, das einige Demoskopen noch kurz vor dem Wahltag prophezeit hatten, blieb dem Team der Demokraten erspart. Lange vor der Auszählung in den letzten Bundesstaaten hatte Clinton die nötige Anzahl von 270 Wahlmännerstimmen beisammen. Bei Redaktionsschluß, als noch nicht alle Bundesstaaten ihr Ergebnis gemeldet hatten, konnte Clinton 357 Wahlmännerstimmen verbuchen, George Bush 168. Im nationalen Gesamtergebnis ist der Vorsprung weniger deutlich: Für Bill Clinton stimmten knapp 33 Millionen Amerikaner (43%), für George Bush 29 Millionen Wähler (38%). Die eigentliche Überraschung war das Ergebnis für Ross Perot: Der Texaner konnte zwar in keinem einzigen Bundesstaat die Mehrheit und damit auch keine Wahlmänner gewinnen. Doch landesweit bekam er 18 Prozent der Stimmen. Dies ist einer der größten Erfolge eines unabhängigen Kandidaten in diesem Jahrhundert und deutliches Indiz für die angeschlagene Reputation des Zweiparteiensystems. Entsprechend euphorisch lief die Wahlparty der „Perotisten“ in Dallas ab.

Ob seine Anhänger weiterhin eine politische Rolle spielen werden, hängt in erster Linie von ihrem Führer ab und seiner Bereitschaft, weiterhin Zeit und Geld zu investieren. Perot ließ zumindest durchblicken, daß seine Bewegung auch in den nächsten Kongreßwahlen 1994 aktiv sein will. Auf die Frage, ob er 1996 wieder kandidieren will, verweigerte der Texaner eine Antwort. Und selbst wenn er eine gegeben hätte, sie wäre bei seinem Hang zur Unberechenbarkeit ohnehin nichts wert gewesen.

Wieviel Perot Clinton genützt hat, darüber werden sich Demoskopen die Köpfe zerbrechen. Er hat ihm jedenfalls nicht geschadet, trotz massiver Attacken in den letzten Wahlkampftagen. Den Grundstein für seinen Erfolg legte Clinton durch Wahlsiege in Kalifornien, einst republikanische Hochburg; in den Industriestaaten des Mittelwestens; und in einigen Südstaaten, wo er die jahrzehntelange Vorherrschaft der Republikaner brach. Clinton und Gore gewannen in Arkansas, Tennessee, Georgia und Louisiana. Texas, Mississippi, Alabama, South Carolina und Florida gingen an Bush, zum Teil aber mit sehr knappen Ergebnissen. Clintons Wahlkampfstrategie entpuppte sich am Ende als voller Erfolg. Mit seinem Hauptwahlkampfthema Wirtschaftskrise und seiner Vision der ökonomischen Erneuerung gewann er in Staaten wie Michigan und Ohio genügend „Reagan- Bush-Democrats“ wieder zurück, jene ursprünglich demokratische Klientel der weißen Mittelschicht, die in den letzten drei Wahlen zu den Republikanern übergelaufen war. Sein Image des Baby-Boomers, der einen Generationswechsel repräsentiert, brachte ihm die große Mehrheit der Stimmen der 18- bis 24jährigen ein. Diese Gruppe hatte vor vier Jahren knapp für George Bush entschieden. Die Stimmen der Frauen waren ihm aufgrund der Antiabtreibungspolitik der Republikaner ohnehin sicher. Unter den Frauen dürften sich einige „Clinton-Republicans“ befinden, Republikanerinnen, die angesichts der frauenfeindlichen Ideologie in ihrer Partei nicht mehr für Bush stimmen wollten. Auch bezüglich der traditionell demokratischen schwarzen WählerInnen ging Clintons Rechnung auf. Obwohl ihm viele übelgenommen haben, im Wahlkampf zugunsten der weißen „Reagan- Democrats“ ignoriert worden zu sein, haben ihn laut Umfrage 83 Prozent der Afroamerikaner und 62 Prozent der Hispanics gewählt.

Der Start des neuen Präsidenten steht unter einem guten Vorzeichen, da er mit einem demokratisch dominierten Kongreß zusammenarbeiten kann. Das letzte Jahr der Bush-Administration war vor allem durch einen Konfrontationskurs geprägt. Die Hoffnung der Republikaner, wenigstens in der Legislative ein Gegengewicht zu einem Demokraten im Weißen Haus zu formen, erfüllte sich nicht. Im Senat haben die Demokraten ihren Vorsprung sogar ausgebaut. Im Repräsentantenhaus mußten sie den geballten Zorn der Wähler wegen des Macht- und Privilegienmißbrauchs der Politiker befürchten. Zahlreiche Parlamentarierer, darunter viele Demokraten, waren in einen Skandal der hauseigenen Bank verwickelt. Sie hatten zum Teil für fünfstellige Beträge ungedeckte Schecks eingelöst.

Doch in der Wahlkabine war die Wut bei den meisten WählerInnen offenbar verraucht. Nach noch unvollständigen Ergebnissen sind die meisten der 435 Abgeordneten wiedergewählt worden. Damit bleibt auch in der zweiten Parlamentskammer die Mehrheit der Demokraten unangetastet. Zu den HauptsünderInnen im Bankenskandal gehört auch die demokratische Abgeordnete Barbara Boxer. Sie hätte deswegen fast das Rennen um einen Sitz im Senat gegen den erzkonservativen TV- Kommentator Bruce Herschensohn verloren und damit den Staat Kalifornien um ein historisches Ereignis gebracht. Doch Boxer gewann ebenso wie ihre Parteigenossin Dianne Feinstein. Damit entsendet erstmals in der Wahlgeschichte der USA ein Bundesstaat zwei Frauen in den Senat. Im US- Bundesstaat Illinois stimmten die meisten für Carol Moseley-Brown und wählten damit die erste Afroamerikanerin zur Senatorin. Von den 13 Kandidatinnen schafften 5 den Sprung nach Washington, wo jetzt insgesamt 7 Frauen zwischen 93 Männern Platz nehmen dürfen. Vor den Wahlen stand das Verhältnis 3 zu 97. Von den 106 Kandidatinnen für das Repräsentantenhaus dürften es voraussichtlich 50 geschafft haben, was den Anteil an Frauen ungefähr verdoppelt. Am schwersten taten sich Republikanerinnen in diesem Wahlkampf. Da die meisten von ihnen das Recht auf Abtreibung klar befürworten, blieb ihnen der Rückhalt der eigenen Partei versagt, die sich in ihrem Parteiprogramm von Houston auf Betreiben des rechten Flügels sogar gegen Abtreibung im Fall von Vergewaltigung ausgesprochen hatte. Die Demokratinnen konnten sich hingegen der Unterstützung ihres Spitzenkandidaten sicher fühlen. Auch Colorado brach mit der Dominanz der weißen Männer. Der neue Senator heißt Ben Nighthorse Campbell, ist Demokrat und „Native American“ (oder auch fälschlich Indianer genannt). Campbell trägt außerdem langes Haar, was ihm wahrscheinlich Ärger mit der Kleider- und Sittenordnung im Senat einbringen wird. Fazit: Die Amerikaner haben sich 1992 einen Kongreß gewählt, der langsam einen Hauch von Ähnlichkeit mit der Bevölkerung des Landes entwickelt.