Der Gesundheitsreform auf den Zahn gefühlt

■ Bei Füllung und Krone profitieren die PatientInnen vom neuen Gesetz/ Die Kosten für Zahnersatz verringern sich/ Zahnärzte bewerten Reform unterschiedlich

Berlin (taz) – Gute Nachrichten für die InhaberInnen maroder Gebisse: durch die Gesundheitsreform wird Zahnersatz ab 1993 wider Erwarten billiger. Durch die 10prozentige Kürzung der Honorare bei Zahnersatz verringert sich auch der Eigenanteil der PatientInnen. Nachdem die Aufteilung in Regel- und Wahlleistungen abgewendet werden konnte, verschlechtert sich im zahnärztlichen Bereich durch die Gesundheitsreform nur Unwesentliches. Zwei Leistungen zahlen die Kassen künftig nicht mehr: übergroße Brücken und mehr als zwei komplizierte Verbindungselemente bei Prothesen. „Das sind teure Leistungen, die medizinisch nicht unbedingt notwendig sind und nur selten vorkommen“, erläutert Zahnarzt Jürgen Scholz. Auch nach Ansicht von Zahnarzt Jochen Brückmann – beide sind Mitglied in der Vereinigung Demokratische Zahnmedizin – überwiegen für die PatientInnen die Verbesserungen die Nachteile. Die vorbeugende Behandlung auf Krankenschein gibt es jetzt schon für Kinder ab sechs Jahren, statt wie bisher ab zwölf. Und das Versiegeln von Zähnen zum Schutz vor Karies, was bisher nur auf private Rechnung möglich war, zahlt jetzt ebenfalls die Kasse.

Was die PatientInnen erfreut, treibt so manchen Zahnarzt auf die Barrikaden. Nach Berechnungen der Berliner Kassenzahnärztlichen Vereinigung bleiben künftig für eine Einzelkrone nur noch 19,90 DM zu versteuerndes Honorar übrig. „Für einen solchen Preis werde ich keine Krone machen!“ empört sich Wolfgang Babin, Vorsitzender des Berliner Landesverbandes des Freien Verbandes deutscher Zahnärzte (FVDZ). Schon jetzt bleibe vom Kassenhonorar von 225 Mark für eine Einzelkrone nach Abzug der Kosten zuwenig übrig: nämlich ganze 67,50 DM – wie gesagt vor Abzug der Steuern.

„Wir sind sehr bedrückt über das, was man mit uns vorhat. Wir fühlen uns in unserer Freiberuflichkeit bedroht“, wettert Wolfgang Babin und meint die geplante Altersgrenze für Kassenärzte und Zahnärzte. Ab 1999 sollen sie mit der Vollendung des 68. Lebensjahres in den Ruhestand geschickt werden. „Das hat man noch mit keinem freien Beruf gemacht. Das ist vor dem Bundesverfassungsgericht nicht haltbar“, meint er.

Die Einführung des degressiven Punktwertes, die kritische Zahnärzte als Durchbruch begrüßen, ist für Babin ein „knallhartes Knebelungsinstrument“. Der degressive Punktwert hat den Effekt, daß Einsparungen bei denen greifen, die überproportional verdienen. Jede Leistung eines Zahnarztes wird in Punkten abgerechnet. Für einen Punkt erhält er von der Kasse durchschnittlich 1,50 DM. Für eine ganz normale Füllung gibt es beispielsweise 30 Punkte. Wer pro Jahr mehr als 350.000 Punkte erarbeitet, erhält künftig für jeden darüberliegenden Punkt 20 Prozent weniger, ab 450.000 Punkten 30 Prozent und ab 550.000 Punkten 40 Prozent weniger. 350.000 Punkte entsprechen einem Kassenhonorarumsatz von 525.000 Mark. Laut Gesetz sollen die dadurch erzielten Einsparungen nur das höchstverdienende Viertel der Zahnärzte treffen. Höchstumsätze bedeuten in der Regel mangelhafte Arbeit, da unter einem bestimmten Zeitlimit qualitätiv hochwertige Arbeit nicht geleistet werden kann. Die kritischen Zahnärzte sehen im degressiven Punktwert daher auch eine qualitätssichernde Maßnahme.

Doch sie sind mit dieser Position in der Minderheit. Der größte Verband der Zahnärzte, der FVDZ, ruft aus Protest gegen die Gesundheitsreform seine Mitglieder zur kollektiven Rückgabe der Kassenzulassung auf. Die Austrittswilligen sammeln sich im sogenannten Korb. Bislang sind ihre bei einem Notar hinterlegten Austrittserklärungen aber noch nicht endgültig. Erst wenn sie in einer Versammlung mit einer Mehrheit von 75 Prozent den Austritt beschließen, werden die Erklärungen an die Zulassungsausschüsse abgeschickt.

Mit der Zahl der Austrittswilligen hält Babin hinterm Berg. Noch wird auf beiden Seiten gepokert. Mit der Austrittsdrohung hofften die Standesvertreter Einsparungen im Zuge der Gesundheitsreform abwenden zu können. Doch die Drohgebärde des Bundesgesundheitsministers folgte prompt: wer seine Zulassung kollektiv zurückgegeben hat, kann sich frühestens nach sechs Jahren erneut um eine Zulassung bewerben, so der Gesetzentwurf. Abschrecken soll auch, daß der Honoraranspruch eines Zahnarztes, der die Kassenzulassung kollektiv niedergelegt hat, auf den einfachen Satz der Gebührenordnung begrenzt wird.

Damit wird die Erwartung, nach dem Ausstieg mehr verdienen zu können, zunichte gemacht. Wie viele unter diesen Bedingungen noch bereit sind, den Ausstieg aus dem zahnkassenärztlichen System zu riskieren, ist ungewiß.

Für die PatientInnen wäre der kollektive Ausstieg der Zahnärzte von Nachteil. „Das ist der erste Schritt, die Solidargemeinschaft aufzulösen und die Möglichkeit der privaten Abrechnung ohne Kontrolle der Kasse zu erweitern“, so Brückmann. „Der Patient hat dann nicht mehr die Rückendeckung seiner Kasse.“ Und wer kann als Laie schon beurteilen, ob eine teure Behandlung wirklich notwendig ist, oder ob eine billigere Variante medizinisch gleichwertig ist. Dorothee Winden