Eduard Zimmermanns Element of Crime

■ Urahn des Reality-TV: 25 Jahre „Aktenzeichen XY... ungelöst“, ZDF, 20.15 Uhr

Der 1929 geborene Münchner Eduard Zimmermann, Ex-Spiegel- Schreiber mit dem Spitznamen „Sheriff h.c.“, hat sich als Symbolfigur für Law and Order etabliert. Seit ihm vor 25 Jahren das Krimi- Lotto für Couch-Potatoes in den Sinn kam, werden zehnmal jährlich TV-ZuschauerInnen zu Hilfsscheriffs. Heute abend ist es wieder soweit: die 250. Folge „Aktenzeichen XY... ungelöst“ wird einmal mehr mit sauertöpfischem Beamtenton knapp unter der Betroffenheitsschwelle sowie dem klinischen Exponieren der Mordwaffe verdecken, daß es sich hier um eine psychopathologische Freakshow handelt.

Für seine Verherrlichung struktureller Gewalt in Fahndungsspielen für die Massen bekam der TV- Wachtmeister eine ganze Reihe Auszeichnungen, darunter 1977 das Bundesverdienstkreuz (ohne Klasse) und 1986 ein weiteres (erster Klasse). Für „Vorsicht Falle!“ gab's die „Goldene Kamera“ und den Adolf-Grimme-Preis (1967). Nach dem Sinn seiner Tätigkeit gefragt, antwortete Zimmermann 1985 in der Zeit: „Das ist nichts anderes als ein Arzt, der Zeit seines Lebens Blinddärme herausschneidet.“ Über das Verhältnis zwischen Polizei, Medien und Blinddarm sinnierte der moralische Gesellschafts-Chirurg auch in der Fachjournallie Kriminalistik: Journalisten sind „berufsspezifisch“ vom „Besonderen, vom Abnormen“ abhängig, und daraus „wächst dann natürlich leicht — oft sicher unbewußt — so etwas wie Sympathie für das Ungewöhnliche und — ich will es ruhig deutlich sagen — auch für das Bösartige“.

Gelegentlich plagt Zimmermann ein „ungutes Gefühl“ ob seiner elektronischen Bürgerwehr, wenn nämlich „Angehörige, die den gleichen Namen haben, unter so einer Sache leiden“. Kann man nichts machen, denn „man kann deshalb ja nicht die Möglichkeiten der Rechtspflege außer acht lassen, man muß die Schuld bei dem suchen, der die Ursache setzt“.

Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen forderte 1981 die Absetzung dieser Sendung, die eine ideologische Zweiklassengesellschaft propagiert. Eduard Zimmermanns „Polizeifunk“ unterläuft zudem die Gewaltenteilung zwischen Medien und Justiz. „Aktenzeichen XY... ungelöst“ ist ein Polizeifenster im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Recherchearbeit von Zimmermanns „Deutschen Kriminal Fachredaktion“ entfällt; die Polizei – sein Freund und Helfer – liefert alle Angaben frei Haus. Und enthält sie gelegentlich den Printmedien vor.

„Manchmal bekomme ich Post aus dem Gefängnis, meistens Dankesbriefe. Viele Verbrecher freuen sich halt, daß sie im Fernsehen waren.“ Andere weniger. 1985 blickte ein Frankfurter Student, der zufällig den gleichen blauen Motorradhelm wie ein „XY“-Bankräuber trug, nach dem Anruf eines Staatsbürgers unversehens in die Pistolenmündungen des Sonderkommandos. 10.000 Mark Belohnung waren auf steineschmeißende WAA-Gegner ausgesetzt, deren Videobilder Zimmermann 1986 knapp 20 Millionen entsetzten Zuschauern zeigte. Die „Täter“ wurden geschnappt und zu 900 DMGeldstrafe verurteilt.

Am Freitag, den 20. Oktober 1967 läuft die erste „XY“-Sendung. Am 7. Juni 1968 wird zwölf Stunden nach der Ausstrahlung der erste per Tele-Steckbrief gesuchte Mörder gefaßt. „Der Bildschirm“, so Zimmermann, „ist praktisch zum Nachfolger der Litfaßsäule geworden.“ Das Fahndungsfoto wird im Fernsehen animiert: kriminelle postproduction. Nur: Die rund 40 Prozent der Fälle, die mit „XY“ gelöst wurden, gehen nicht auf die pseudorealistischen Laienspielverbrechen zurück, sondern auf den ganz banal eingeblendeten Steckbrief mit expliziter Namensnennung. Das ganze Drumherum ist virtuelle Trickbetrügerei. Der „große Unbekannte“ wurde nach diesen Filmen nur selten geschnappt. Gemäß Lars von Triers Theorie aus „The Element of Crime“ — wonach der beste Kriminalist derjenige ist, der zugleich die Tat verübt hat — müßte Zimmermann glatt nach sich selbst fahnden.

Das Erfolgsgeheimnis dieser Tatrekonstruktionsfilme ist ihre hölzerne Schwerfälligkeit. Würde man die nachgestellten Kurzkrimis realistischer gestalten, so würde sich die fiese Doppelmoral des Denunzianten-Fernsehens selbst entlarven. Realität ist etwas, was in „XY“ daher nur durch die hinter der Sendung stehende Autorität der Polizei suggeriert wird — und nicht durch die Verpackung. „XY“ fährt die Schiene: „Eigentlich sind diese Dinge ja so schlimm, daß wir sie Ihnen, liebe Zuschauer, gar nicht zeigen können. Deswegen beschränken wir uns auf eine kurze Andeutung des Tathergangs.“ Manfred Riepe