Schwacher Hinterherhechler im D-Zug-Tempo

■ Zuviele Zutaten in „Wir Enkelkinder“ von Bruno Jonas

Die Accessoires an seinem Kopf, die angewachsenen wie die aufgesetzten, spiegeln den Wandel der Zeitläufe und Ansichten: Der schüchterne Schüler trägt einen adretten Bubikopf. Mit den Studienjahren wachsen zuerst die Haare, dann der Bart. Eine rotbesternte Baskenmütze krönt das zugewucherte Gesicht. Der Stern bleibt, die Haube wechselt. Zum blauen Mao-Käppi wird auch der Balg kulturrevolutionär zurechtgesetzt. Später sind die Veränderungen der Gesinnung behutsamer. Haarlänge und Scheitelrichtung variieren nur noch zentimeterweise. Geheimratsecken und das schleichende Grau der Mitte des Lebens signalisieren die kleine Karriere in den illusionslosen Neunzigern.

Dreißig Jahre Bundesrepublik auf einem Kopf. Ulli heißt der, auf dessen Hals er sitzt. Seine Weltsicht wechselt meist mit der Freundin – ein tragisch-komischer Softie, der eher in die geschichtlichen Ereignisse stolpert, als daß er sich beherzt in sie hineinstürzt.

Der Kabarettist Bruno Jonas spielt den schwachen Hinterherhechler, gleichzeitig ist er für Buch und Regie verantwortlich. Er hat sich einiges vorgenommen. Im D-Zug-Tempo jagt er durch die Bundesgeschichte. Die Ärsche der Kommune1 auf dem Stern-Titelblatt sind genauso eingewoben wie die Barschel-Affäre und der spektakuläre Trunkenheitsunfall des CSU-Politikers Wiesheu. Berufsverbot, Anti-AKW-Bewegung, Bhagwan-Fieber und der böse Bayerische Rundfunk, alles, was im exemplarischen linken Leben eine Rolle spielte, kommt mit hinein in die Kinoerstlingswurst. Das sind zuviel der Zutaten. Die Satire geht selten über Bekanntes hinaus. Sämtliche Kabarett-Themen der letzten Dekaden werden, handlich zusammengeschnürt, präsentiert.

Wie die Vermengung von Fiktion und Realität gehen kann, hat Helmuth Dietl mit „Schtonk“ vorgemacht. Eine wahre Geschichte löste er in überhöhte (Kino-)Situationen auf, in denen zugespitzte Charaktere agieren. Damit sezierte er die Wirklichkeit und ihre Protagonisten mit scharfem Skalpell. Bruno Jonas bewegt sich nur ganz knapp neben der Realität. Der Blick zurück ist ein ständiges Déjà-vu und wirkt so – trotz aller kernigen Sprüche – merkwürdig nostalgisch. Nur selten geht der Blick über leicht karikierende Abbildung hinaus.

Der – auch filmisch – schönste Moment ist eine kurze Autofahrt über Land. Ein Güterzug ohne Lokomotive steht inmitten der grünen Weiden. Dies sei wohl die verstrahlte Molke, meint Ulli, und seine Freundin wundert sich: „Aber Tschernobyl war doch noch gar nicht.“ Darauf er: „Um die Entsorgung muß man sich immer frühzeitig kümmern.“ Da sitzt die dicke Pointe, und gleichzeitig stimmt das Spiel mit den vermischten Ebenen.

Abgesehen von den allzu penetrant nach Lachern schielenden Off-Texten, die den Historien- Streifzug zusammenhalten sollen, bleibt ein unterhaltsam bissiges Feierabendvergnügen für jeden, der sich irgendwann in der Politszene herumgetrieben hat. Von den Paukenschlägen der „Kellerkinder“, mit denen Wolfgang Neuss 1960 dem Vaterland seine verdrängte Geschichte in die Ohren trommelte, sind die Enkelkinder von 1992 allerdings weit entfernt. Gerhard Hartmann

„Wir Enkelkinder“. Buch und Regie: Bruno Jonas. Mit: Jonas, Zeplichal, Schmidt. Deutschland 1992