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■ KommentareKultur-Kondom gegen Europa-Infekt Von Rainer Nolte

Der romantische Unterton im Topos der „kulturellen Vielfalt Europas“ vermag bisweilen zu verbergen, daß auch Kulturpolitik eben Interessenpolitik ist und keineswegs mit höherer Sanftmut geweiht. Vornehmlich EG-Mitglieder mit ausgeprägten kulturpolitischen Infrastrukturen haben Artikel 128 der Maastrichter Verträge als vielschichtigen und redaktionell gekneteten Kompromiß entwickelt — unter dem Motto: Positive in wording, negative in effect. Das entspricht den Spielregeln internationaler Konkurrenz, genannt Subsidiaritätsprinzip. Ein schwerfälliges Verfahren der politischen Entscheidungsfindung schiebt zusätzlich Riegel vor gegen vermeintlichen kulturellen Übermut aus Brüssel. Immerhin gebietet — einmalig in Europa — jener Artikel, daß die Gemeinschaft die „Kulturverträglichkeit“ ihrer Politiken kritisch prüft. Dies berührt auch die sozialen und rechtlichen Interessen von KünstlerInnen. Hier wird die politische Praxis über die Macht des Buchstabens entscheiden.

Bislang haben sich die deutschen Kulturbürokraten nur im Ausnahmefall als Lobbyisten der KünstlerInnen hervorgetan, Eigeninitiative in Form von Netzwerken (von der EG unterstützt) fällt unter „Bürokratieverdacht“. Im „Europa der Regionen“ gilt „kulturelle Identität“ als sakrosanktes Passepartout regionalen Image-Marketings gegen Europa, den Nationalstaat und die anderen Regionen, die ebenfalls um Zukunftschancen konkurrieren — bisweilen auch als Sammelbecken nationalistischen Modernitätsekels. Das hindert manche Regional-Apologeten nicht, einem heißblütigen Heimatbekenntnis im gleichen Atemzug ein eiskaltes Plädoyer für die weitestmögliche Liberalisierung des Kunst- und Antiquitätenmarktes folgen zu lassen, gegen die regionalen Interessen Südeuropas.

Ob solche interessegeleiteten Widersprüche früher oder später die kulturelle Bewußtseinsspaltung zwischen „fortschrittlichem Markt“ und „bewahrender Kultur“ beenden? Mehr noch: Ob wir eine Debatte der erschlafften civil society über die Gestaltung der Zukunft in Europa — also eine Kulturdebatte — erleben statt kleinlichen Kompetenzgerangels, das steht in den zwölf goldenen Sternen im hoffnungsträchtigen Azur.

Derweil hat der Markt entschieden: Maggis Tomatensuppe ist nur in kultureller Vielfalt, iß: regionaler geschmacklicher Variation, europaweit vermarktbar.

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