Kulturpolitik mit Vorhängeschloß und Kette

■ Italiens Kulturminister will die antiken Stätten retten – vor den TouristInnen und den Massenspektakeln/ Kürzungstango im Kulturetat/ Theaterleute im Streik

Der sechzigjährige Alberto Ronchey, Journalist und mehrfach Chefredakteur (La Stampa, Corriere della sera), wurde im Sommer zu seiner eigenen Überraschung zum Minister für Kultur und Umwelt bestellt. Er sieht seine Aufgabe in ganz besonderer, „vielleicht sogar etwas perverser“ Weise: Nach UNESCO-Verlautbarung lagern mehr als vierzig Prozent aller bekannten Vergangenheitszeugnisse in Italien – und um Europa den weltweit größten Schatz an archäologischen und historischen Dokumenten zu sichern, sperrt er ihn weg.

Wo bisher Touristinnen und Touristen hinströmten und zur Attraktionserhöhung Festivals auf historischem Boden veranstaltet wurden, kommt aus dem Renaissance-Palazzo nahe der Via del Corso in Rom nun der Lizenzentzug – oder zumindest eine massive Einschränkung. Dabei fehlt nie der Hinweis, daß „dies nicht unser Privatbesitz ist, sondern ganz Europa gehört, ja der ganzen Welt“.

Ob die Caracalla-Thermen in Rom, wo es Sommerfestspiele gab, oder die Arena von Verona, wo mächtige Tenöre „Aida“ schmetterten, ob im griechischen Theater von Taormina, wo neben Schauspielen auch Shows und Defilés stattfanden: Ronchey hält seit neuestem seinen Daumen auf all diese Stätten – eine Art letzter verzweifelter Versuch, die von Verfall und oft auch von Ausplünderung betroffenen Dokumente doch noch für einige Zeit zu retten. In Venedig läßt er Rockkonzerte platzen, dem Forum in Rom will er Besucherhöchstzahlen verpassen, und neuerdings hat er sich mit den Grünen verbündet, um „ganz allgemein den Zutritt zu den historischen Zentren der Städte eintrittspflichtig zu machen“.

„Zeigen, daß Kulturpolitik auch im Wegschließen besteht“

Die Initiativen zeigen Wirkung. Kultur ist plötzlich ein Thema, das Ronchey trotz seines niedrigen Etats – umgerechnet nach Abzug der Verwaltungskosten nicht einmal eine halbe Milliarde Mark – mit Hilfe einfacher Vorhängeschlösser und Sperrketten auf die Titelseiten der Zeitungen gebracht hat. Er schmunzelt: „Bei dem Etat muß man eben zeigen, daß Kultur nicht nur im Veranstalten und Herzeigen besteht, sondern ab und zu auch im Wegschließen.“

Da ist seine Kollegin vom Ministerium für Schauspiel, Sport und Tourismus, Margherita Boniver, wesentlich schlechter dran: „Wenn ich auch nur ein einziges Theaterchen zumache, ist der Teufel los“, klagt sie. Zur Zeit sind Dreiviertel aller Bühnen im unbefristeten Streik. Grund: Die von der Regierung verfügten Sparmaßnahmen haben auch das Spektakel-Ministerium betroffen, und die Ministerin hat dies – undiplomatisch – auch noch zu begründen versucht. Ihre schnell nachgeschobene Rechtfertigung, sie habe schließlich auch die Zuschüsse für den Fußballbund gekürzt, ging nach hinten los: Das hat ihr nun auch noch die Kicker auf den Hals gehetzt.

Tatsächlich ist die Kürzung des sowieso nur wenige hundert Millionen Mark umfassenden Etats um fünfzehn Prozent natürlich kaum mehr mit einer glaubwürdigen Kulturpolitik in Einklang zu bringen.

Die Einsparungen betreffen sowohl große Bühnen wie die Mailänder Scala als auch kleine Provinz- und Lokaltheater im ganzen Land. „Und das ausgerechnet jetzt, wo sie uns seit fünf Jahren damit in den Ohren liegen, internationale Autoren einzustudieren, um europatauglich zu werden“, murrt Gianni Di Carlo, Leiter eines Provinztheaters in der Campania. „Stücke, die schon von der Sprache, dem Duktus und dem kulturellen Hintergrund einen erheblichen Aufwand bedeuten, weshalb sie uns dafür hohe Zuschüsse aus Europa versprochen haben.“

Grund zum Meckern haben aber auch die großen, international anerkannten Regisseure. Franco Zeffirelli zum Beispiel sieht „bei uns in Italien weder Anerkennung für engagiertes Wirken noch eine konsistente Kulturpolitik im Hinblick auf Europa“. Giorgio Strehler, Theaterdirektor in Mailand, droht schon seit Jahren, „italienisches Theater nur noch außerhalb Italiens zu machen, um unbehelligt arbeiten zu können“.

Margherita Boniver hat freilich ein Argument gegen die Kritik parat, das nur schwer zu kontern ist: „Ich würde mich ja gerne auf eine nationale, internationale und europäische Kulturpolitik einlassen. Aber die Ausarbeitung solcher Konzepte ist doch nicht bloß eine politische Angelegenheit, sie muß doch auch und vor allem von den Künstlern und Intellektuellen selbst bewältigt werden.“

Da hat sie nicht unrecht. Außer dem Lamento, daß „niemand etwas für eine europäische Kultur tut“, haben die Regisseure, Schauspieler und Theaterdirektoren Italiens zur Zeit nur wenig anzubieten.

Werner Raith