Kultur fällt unter die Bagatellregelung

0,00016 Prozent ihres Etats ist der EG die europäische Kultur wert  ■ Von Wolfgang Hippe

Gibt es eine europäische Kulturpolitik? Bis zur Ratifizierung der Maastrichter Verträge verfügt die Europäische Gemeinschaft über keine kulturpolitischen Kompetenzen, sieht man einmal von speziellen Regelungen wie dem Steuer- oder Medienwirtschaftsrecht ab. Nach der Ratifizierung darf die EG dann erstmals rechtlich legitimiert auf kulturpolitischem Gebiet tätig werden. Die Maastrichter Verträge vermeiden den Begriff „Europäische Kultur“, weisen der EG die Kulturpolitik aber als eine Art neue Querschnittsaufgabe zu. Die EG soll ergänzend zu nationalen Aktivitäten „einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedsstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt“ leisten.

Was ist darunter zu verstehen? Genannt werden ausdrücklich die Förderung des „gemeinsamen Erbes“ und die Zusammenarbeit der EG-Länder vor allem bei der Verbreitung des Europa-Gedankens, die Förderung der Kenntnisse von Kultur und Geschichte der europäischen Völker sowie des nicht- kommerziellen Kulturaustauschs, des literarischen und künstlerischen Schaffens bis hin zum audiovisuellen Sektor.

In all diesen Bereichen war die EG bisher auch schon tätig, freilich in mehr als bescheidenem Umfang. Ob Europäischer Übersetzer- oder Literaturpreis, ob „Kaleidoskop“, Kulturstadt oder Kulturmonat Europas, ob „Media“, „Jugend für Europa“ oder wie die kulturellen Förderprogramme sonst noch heißen mögen – ihre Bedeutung liegt laut Statistik nur knapp über null: Die Gemeinschaft gibt bisher 0,00016 Prozent ihres Etats für Kultur aus. So umfaßt das Förderprogramm für die Übersetzung bedeutender Literatur rund 400.000 Mark – für 30 Übersetzungen pro Jahr. Die Auszeichnung „Kulturbühne Europas“, die an Projekte vergeben wird, an denen mehrere europäische Länder beteiligt sind, wurde 1991 gerade 92mal verliehen. Die Subvention betrug knapp 20.000 Mark für jedes Projekt. Selbst die Förderung der Zukunftsbranchen Film und Fernsehen verblaßt mit rund 500 Millionen Mark im Vergleich zu den für die Landwirtschaft aufgewendeten Mitteln: zur Zeit rund 70 Milliarden.

Schwierigkeiten erwachsen einer europäischen Kulturpolitik jedoch nicht nur aus den knappen Mitteln. Die kulturellen und kulturpolitischen Komponenten der Maastrichter Verträge müßten auch erst gegen die wirtschaftspolitische Orientierung der EG durchgesetzt werden. Zwar schließen die Verträge ausdrücklich die Harmonisierung der nationalen Kulturförderungen aus, doch der Teufel steckt im Detail – zum Beispiel in der eventuellen Marktnähe eines geförderten nationalen Projekts. Ist ein Musikwettbewerb oder ein Film zu „kommerziell“, könnte die Förderung die Handels- und Wettbewerbsbedingungen der Gemeinschaft verzerren. Das würde zu einem Verbot der Förderung führen. Von Fall zu Fall wäre also zu entscheiden, wo die Grenze zwischen Kultur und Kommerz zu ziehen ist.

Eine Förderung könnte auch gegen das Diskriminierungsverbot der EG verstoßen. Aktuelles Beispiel: In Deutschland werden in Zukunft keine „deutschen“, sondern nur noch „programmfüllende“ Filme staatlich gefördert. Die Diskussion darüber, was denn– kulturell gesehen – ein „deutscher“ Film sei, war durch einen Vorstoß der EG-Kommission abrupt beendet worden. Die Beschränkung der Förderung auf deutsche FilmemacherInnen hätte nämlich ihre KollegInnen aus anderen EG-Ländern diskriminiert. Deutsch ist ein Film in Zukunft dann, wenn er in deutschen Studios hergestellt und eine Endfassung in deutscher Sprache erstellt sowie uraufgeführt wird.

Dieses Beispiel wirft die Frage auf, wie denn angesichts solcher Eingriffe die „nationalen und regionalen Identitäten“ Europas kulturell gefördert und erhalten werden können. Gerade in künstlerischen und kulturellen Aktivitäten gründen sich die unverwechselbaren Lebensweisen und Mentalitäten, die Träume und Ängste einer Region. Das immer wieder beschworene „Europa der Regionen“ ist ohne im Kern eigenständige Kulturen nicht denkbar. Neben das ökonomisch begründete Diskriminierungsverbot müßte deshalb das Recht auf eine positive Diskriminierung für nationale und regionale Kulturförderung treten, wie es der Niederländer Peter Mulder gefordert hat. Die EG-Kommission hat bereits Verständnis für solche Überlegungen signalisiert. Den audiovisuellen Sektor müsse man allerdings wegen seiner großen wirtschaftlichen Bedeutung genau im Auge behalten. Für andere Bereiche gelte eine „Bagatellregelung“: Wegen der geringen Fördersumme sei ein Einschreiten uninteressant.