■ Mit dem Osttarif auf du und du: Öffnungsklausel für Ostbetriebe?
Berlin (taz) – Die schnelle Angleichung der Löhne und Gehälter im Osten an das Westniveau überfordert die meisten Betriebe in Ostdeutschland. Nach dem Wegbrechen der Ostmärkte müssen sie für ihre Produkte westliche Märkte erst noch finden. Und die Produktivität beträgt auch zwei Jahre nach der Wiedervereinigung erst ein Drittel der im Westen pro Kopf üblichen Wertschöpfung, während die Lohnhöhe bereits bei zwei Dritteln angelangt ist. Immer heftiger wird daher, angestoßen von Kanzler Helmut Kohl, gegen den heftigen Widerstand von DGB und DAG, über gesetzliche Tariföffnungsklauseln debattiert.
Gestern forderte der Bundesverband Selbständiger Unternehmer (ASU) noch weitergehende Änderungen am Tarifvertragsrecht als von der Bundesregierung geplant. Die Mantel- und Gehaltstarifverträge, die zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ausgehandelt werden, sollten nur dann gelten, wenn mit den meist zu Konzessionen bereiten Beriebsräten keine Einigung über die „Preisbildung am Arbeitsmarkt“ erzielt werde, forderte der ASU-Vorsitzende, Volker Geers. Tarifverträge sollten außerdem ihre Bindungswirkung verlieren, wenn ein Unternehmen aus dem Arbeitgeberverband austritt.
Diese Meinung wird allerdings keinesfalls von allen Unternehmern geteilt. Gerade die großen Unternehmer-Organisationen wie der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) versuchen eher, ihre Tarifpartner, die Gewerkschaften, zum Nachverhandeln zu bewegen. „Die Vernunft gebietet es, die automatische Anpassung der Ostlöhne an das Westniveau deutlich zu bremsen“, meint zwar auch DIHT-Präsident Hans Peter Stihl, redet aber keinesfalls einer gesetzlichen Tariföffnung das Wort.
Der Grund: Auch die Arbeitgeber hätten Nachteile, wenn die ausgehandelten Tariflöhne allzu einfach unterboten werden könnten. Schließlich könnte ja manch ein Unternehmer versucht sein, mit billigen Löhnen seine Produkte billiger als die nach Tarif zahlende Konkurrenz anzubieten.
Neben den ungeklärten Eigentumsverhältnissen und der noch immer schleppenden Verwaltung sehen auch Wirtschaftsforschungsinstitute, darunter auch das keinesfalls gewerkschaftsfeindliche Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), in der raschen Lohnangleichung eines der zentralen Hemmnisse für den Aufschwung Ost.
Nicht zuletzt geraten die Gewerkschaften in Ostdeutschland von den eigenen Leuten unter Druck. Im Prinzip finden es zwar die meisten Ostdeutschen ungerecht, für vergleichbare Arbeit im selben Land weniger Geld zu bekommen. Konkret sind aber viele zum befristeten Lohnverzicht bereit, wenn das zum Erhalt des Betriebes beiträgt. Allerdings: Auch Lohnverzicht schafft nicht automatisch neue Märkte. Donata Riedel
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