Bitte kaufen Sie im Osten!

Die Appelle der Treuhandanstalt an die Westindustrie werden immer eindringlicher Ostunternehmer sehen Westwirtschaft als geschlossene Zirkel  ■ Von Donata Riedel

Dresden/Berlin (taz) – Die Treuhand-Appelle an die westdeutsche Industrie klingen immer mehr wie Verzweiflungsschreie: Kaufen Sie doch bitte auch mal was im Osten! Auf einer Unternehmertagung am Mittwoch in Oberhausen hat Treuhandpräsidentin Birgit Breuel die 200 anwesenden Industriellen erneut aufgefordert, ihre Lieferbeziehungen zu überprüfen und ostdeutschen Firmen eine Chance zu geben. Noch vor wenigen Wochen hatte es die Treuhand-Chefin mit der Androhung von „Kampfpreisen“ versucht. Denn seit auch die Bundesregierung den Totalausfall des Osthandels nicht mehr leugnet, sind die ostdeutschen Firmen auf Gedeih und Verderb den Westmärkten ausgeliefert – und die sind, bei allgemein schwacher Konjunktur, absolut dicht.

Diese Erfahrung machen zunehmend jene privatisierten Firmen, die ein Sanierungskonzept gerade soweit umgesetzt haben, daß ihr Betrieb so einigermaßen nach marktwirtschaftlichen Kriterien funktioniert. Nur zu Tiefstpreisen würden die Produkte auf Interesse stoßen, klagt beispielsweise der neue Ostunternehmer Wolfgang Fleischer, der via Management-buy-out die heutige Baumechanik Cossebaude GmbH (BMC) bei Dresden übernommen hat. Das Unternehmen stellt Stahlbauhallen und Baggerlöffel her.

Ein großer Altauftrag der BMC aus Wendezeiten, die sowjetische Erdgastrasse in Sachsen zurückzubauen, läuft gerade aus – entsprechend sackte der Umsatz für dieses Jahr von 22 auf rund 15 Millionen Mark ab. Fleischers Betrieb, an dem sich zwei Westpartner aus Mannheim und Berlin vor allem mit Know-how beteiligen, gilt der IHK-Dresden als Vorzeigefirma: nicht, weil sie es bereits geschafft hätte, sondern weil sie es, mit Investitionen von 11,5 Millionen Mark bis 1993, in den nächsten fünf Jahren schaffen könnte. Von den 268 Arbeitsplätzen vor der Wende sind heute noch 164 übriggeblieben – wobei vor allem Frauenarbeitsplätze in der Verwaltung auf der Strecke blieben.

Aufträge – so die Erfahrung des Neu-Unternehmers Fleischer – sind selbst innerhalb Sachsens nur schwer zu bekommen. Von 490 ausgewiesenen Gewerbegebieten würden 86 Prozent von Westberatern gemanagt, und die hätten eben ihre alten Westkontakte. Außerdem gebe es in seiner Branche keine Westfirma, die Mangel an Zulieferern hätte.

Ins Gespräch könne er nur kommen, indem er als Anbieter „aus einem Billiglohnland“ aufträte, erzählt Fleischer. Nur: Der „geringe Vorteil“, niedrigere Löhne zahlen zu können, würde durch die hohen Sanierungskosten aufgezehrt. Dabei hat die Baumechanik Cossebaude, die nicht im Arbeitgeberverband ist, mit den örtlichen Gewerkschaftsvertretern Löhne unterhalb der IG-Bau-Steine-Erden- Tarife ausgehandelt. „Was wir können, wird dann aber angehoben“, beteuert Fleischer, dessen BMC nach seinen Angaben zum Jahresende hin „leicht schwärzliche Zahlen“ schreiben soll.

Wettbewerbsfähige Produkte, die in den vergangenen Jahren viele Ostbetriebe entwickelt haben, reichen auch nach den Erfahrungen der Treuhandmanager zum Überleben nicht aus. Gerade an öffentliche Aufträge sei „für uns nicht heranzukommen“, so Fleischer – obwohl der Osten mit Baustellen aller Art gepflastert ist. Die Schilder beim Spaziergang durch Dresden zeigen es: Die großen Westfirmen, mit neuem Sitz in Dresden oder Chemnitz, sind an jeder der öffentlichen Baustellen präsent.

Gleichzeitig häufen sich die Investitionsabsagen in den neuen Bundesländern, gerade bei den Schlüsselprojekten für den Aufschwung Ost. Auf dem Rückzug sind die schweizerische Alcor bei der Märkischen Faser Premnitz, die Krupp-Stahl bei Eko-Stahl Eisenhüttenstadt, Mercedes-Benz in Brandenburg, der Papierhersteller Holtzmann im Raum Bitterfeld- Wolfen.

Seit Sommer 1989 sind von 9,75 Millionen Arbeitsplätzen noch 5,4 Millionen übrig geblieben, wenn man die vom Arbeitsamt geförderten Stellen abzieht. Die Prognosen für den Aufschwung Ost weisen daher in immer fernere Zukunft.

Die Herausbildung eines industriellen Mittelstandes ist in den neuen Ländern kaum in Gang gekommen. Auch der Dienstleistungsbereich hat die in ihn gesetzten Erwartungen als Motor des Aufschwungs bisher nicht erfüllt. Die Dresdner Bank vermutet, in fünf Jahren könnte das Gröbste vorbei sein. Nach einer Untersuchung der Deutschen Bank müssen bis zum Jahr 2000 etwa 1,3 Billionen Mark investiert werden, um sieben Millionen wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze zu schaffen. Allerdings: Gerade die Großbanken werden von ostdeutschen Existenzgründern heftig für ihre Kreditvergabepolitik kritisiert. Deren Erfahrungen, auf einen Nenner gebracht: Je größer die Bank, desto unkooperativer bei der Kreditvergabe.