Obst aus der Stadt - ohne Reue genießen?

■ „Wir essen, was das Ungeziefer übrig läßt“, sagt Kleingarten-Chef Dreyer / Keine Bremer Untersuchungen

Nur noch irgendwo in einem verwunschenen Kleingarten am Jürgenshof hängen kilodicke rotwangige Äpfel hoch in einem Baum. Der wesentliche Teil der kleingärtnerischen Frucht liegt längst in den kalten Kellern. Zeit also, ohne den stolzen Freizeit- Bauern zu nahe zu treten, die Frage aufzuwerfen: Darf man das eigentlich ohne Reue genießen, was mitten in der Stadt wächst und gedeiht, oft mit rötlich-einsenhaltigem Brunnenwasser über den trockenen Sommer gebracht, in der Abluftfahne der Betriebe und Autostraßen?

Jahre ist es her, da wollte der damalige Bremer Umweltsenator Hebert Brückner das Kleingärtnerglück schlicht verbieten, erinnert sich ein langjähriger Mitarbeiter der Behörde: „Die Ergebnisse haben uns fast wahnsinnig gemacht.“ Die Staatlich- Chemische Untersuchungsanstalt hatte Messungen durchgeführt und horrende Bleiwerte festgestellt, die nur durch die Annahme erklärlich waren, daß in irgendeiner grauen Vorzeit einmal eine Bleihütte das bremische Stadtgebiet verseucht haben müssen — eine Bleihütte, die sich allerdings an der Stadtchronik vorbeigeschlichen haben muß. Eine intensive Ursachenforschung begann, schließlich und nach langen zähen Bemühungen wurde die Staatliche Forschungsstelle fündig: In den Emaille-Schalen, in denen die Frucht-Scheiben für die Untersuchung vorbereitet und aufbewahrt wurden, waren Lötnähte aus Blei und die haben sich in der Fruchtsäure lustig aufgelöst und die Nadel des Meßgeräts gebogen ...

Die Meßstelle für Arbeits- und Umweltschutz (MAUS) an der Universität hatte vor Jahren einmal mit dem Thema Kleingärten-Frucht zu tun. Ergebnis? Der Physiker Jens Scheer erinnert sich vage: „Wir mochten es den Leuten gar nicht sagen, was sie da für einen Dreck im Garten haben.“ Stefan Uffelmann, heute für die Firma „Quantech“ im Bitz bei der Uni tätig, hatte sich damals mit dem Thema befaßt. In Schwachhausen an der Graf Moltke-Straße waren erhebliche Blei-Mengen im Boden gefunden worden, erinnert er sich, in den Früchten der Kleingärten aber nicht. Die Meßmethoden waren damals, sagt der Wissenschaftler vorsichtig, noch nicht so weit entwickelt, vieles konnte man noch nicht messen.

Bei der Staatlich-Chemischen Untersuchungsanstalt sind genausowenig wie beim Bremer Umweltinstitut genauere oder auch nur neuere Messungen bekannt, die Zweifel an der Güte der städtischen Ernte erlauben würden. Schadstoffe aus der Luft jedenfalls lagern sich an den Schalen der Früchte nur an, sagen die Wissenschaftler, rauhe Schalen wie die der Pfirsiche würden mehr Angriffsfläche bieten — aber die gibt es ja in Bremen weniger.

Die „SaftpresserInnen“ aus Thedinghausen halten sich aus dem Problem heraus: „In dem gepreßten Saft sind nicht mehr Stoffe als in dem Obst, das Sie anbringen“, erklärt der nette Mann, 90 Pfennig kostet es, einen Liter pressen zu lassen — untersuchen kann der „Verein für den naturgemäßen Obstbau“ das angelieferte Obst nicht.

Johann Dreyer, Vorsitzender des Landesverbandes der Gartenfreunde und ungekrönter König auf dem kleinräumig umzäunten Lande Bremens, findet die Frage nach möglichen Bedenken beim Verzehr der Stadt- Früchte schon abwegig: „Wieso das denn?“ Für Dreyer ist alles sauber: „Das Blei ist raus aus dem Benzin“, sagt er, bei Messungen aus Kleingärten habe es keine Überschreitungen der Richtwerte gegeben. Außer vor Jahren einmal beim Kohl in der Neuen Vahr...

Obst aus Kleingärten ist sogar besser als Obst aus kommerziellem Anbau (“Wir düngen nur organisch“), davon ist Dreyer überzeugt, kein Nitratgehalt ist zu befürchten wie im Holländischen Gewächshaus-Salat. Und: „gesprüht wird nicht“ in den Kleingärten. Dreyers Gartenfreunde-Motto: „Wir geben uns mit dem zufrieden, was das Ungeziefer übrig läßt, und leben damit gesünder.“

Ganz ohne Schatten kann Margarete Hartbecke, Redakteurin des Organs „Der Kleingärtner“, das Problem nicht sehen. In dem neuen Heft „Der Fachberater“, das im Januar ausgeliefert wird, ist dem Thema ein Scherpunkt gewidmet. (zu bestellen über: Verlag W. Wächter, Elsasserstr. 41, Bremen) Obst soll „auf jeden Fall gut abgewaschen“ werden, sagt die Redakteurin, lasse sich danach aber bedenkenlos essen, für Gemüse „gerade in städtischen Ballungsgebieten“ sind differenzierte Hinweise zu finden. K.W.