Village Voice
: Chaostheorie hörbar gemacht

■ „Done“ von 18th Dye

18th Dye waren die Berliner Aufsteiger des Jahres 92. Im Jahr zuvor in einem Krankenhaus in Kopenhagen gegründet, wurden sie sehr schnell als die Berliner Sonic Youth gefeiert. Ihre Live- Konzerte waren von einer in Deutschland selten gehörten Präsenz. Extreme Intensität bei intensivster Monotonie oder wahlweise überraschenden Eruptionen. Ein großer wabbeliger Soundbrei, in dem kleinste Veränderungen zu Melodien mutierten oder größeres auslösten, alles zusammenbrechen oder noch mehr anschwellen ließen. Die Chaostheorie hörbar gemacht.

In den 13 Stücken ihrer ersten Platte „Done“ erreichen 18th Dye nur selten diese Intensität, vielleicht gerade weil alle Tracks fast vollständig live im Studio eingespielt wurden und nach Meinung von Produzent und Band kaum noch Overdubs nötig waren. Eine zu Hause gehörte Platte erreicht schon durch die geringere Lautstärke nie den Eindruck eines Konzertes, wenn denn nicht einige Tricks angewendet werden.

Iain Burgess, der zuvor schon Urge Overkill, Big Black oder Tar produzierte, ist den umgekehrten Weg gegangen, hat versucht, den dicken Live-Sound von 18th Dye auf kleinerer Flamme zu reproduzieren, und damit auch einen Effekt erzielt. Plötzlich glaubt man zu erkennen, daß sie vom Folk kommen. Plötzlich hört man Galaxie 500, vor allem wenn das immergleiche Riff um sich selbst kreiselt, in Superzeitlupe modifiziert wird, dabei der Song langsam anschwillt, um am Ende schlicht in sich einzubrechen. Das Ziel, irgend etwas, das der Song ursprünglich nie besaß – die Melodie vielleicht –, wird dann doch nicht offenbart. Was sie trennt von Galaxie 500, ist deren Mut zur Reduktion, zur Stille. Was sie zusätzlich noch verbindet, ist die Stimme von Bassistin Heike Rädeker, die ganz zerbrechlich, dabei gar nicht harmonisierend, sondern bösartig brüchig dahinstolpert.

Der immer wiederkehrende Wechsel von der weiblichen zur männlichen Stimme von Gitarrist Sebastian Büttrich erinnert wiederum an Yo La Tengo. Nun weiß ich nicht, ob Rädeker und Büttrich ebenso ein Liebespaar sind wie Ira Kaplan und Georgia Hubley, aber man möchte es glauben, so wie sie sich ergänzen, nachgerade gegenseitig kommentieren. Dabei sind die Duette eher selten, oftmals unterstützt man sich nur gegenseitig mit Background, und doch schwingt beim bereitwilligen Überlassen der Hauptrolle von Song zu Song mit, daß man sich als Einheit versteht. Beide Stimmen ergänzen sich zwar nicht unbedingt, aber beide nehmen gleiche Aufgaben wahr und sind gleichberechtigte Partner, ob es nun um die lärmenden oder die eher ruhigeren Stücke geht.

Ein weitere Parallele zu Yo La Tengo ist eine gewisse Affinität zur Lou Reedschen Erzählstruktur, die so bei den Konzerten von 18th Dye nicht auffällt. In „Stupidity“ zum Beispiel singt Büttrich seine Strophen ganz emotionslos herunter, daruntergelegt ein schlichter Velvet-Underground- Beat in stoischer Mo-Tucker- Nonsynkopierung. Erst spät bricht der Song aus, ertastet die Grenzen der Atonalität und findet wieder Velvet Underground. Das sofort folgende „Club“ schließt sich nahtlos an und beginnt wie frühe Velvet, um dann urplötzlich zu einem schlichten Rocker zu werden, der noch einige Kanten rettet. Wieder einen Song später in „Tumbling Down“ dängelt es zuerst wie die Byrds und dröhnt dann wieder wie Sonic Youth. Womit wir wieder beim Ausgangspunkt wären.

Doch 18th Dye sind keine Kopisten, sie formen aus dem Fundus der 60er, aus den schwarzen und aus den bunten Seiten dieser Zeit, und aus den stählernen elektrischen Errungenschaften der ausgehenden 80er Jahre ihre ganz persönliche Version vom heimeligen Lärm, der zwar etwas kratzt, aber in dem man prima kuscheln kann.

Und noch dies: „Done“ ist die beste Berliner Rock-Platte dieses Jahres. Thomas Winkler

18th Dye: „Done“ Cloudland Records/ Semaphore