Wand und Boden
: Auch irgendwie knapp daneben

■ Kunst in Berlin jetzt: Achse Nord, Julia Townsend, Rainer Korb, Michael Friedrichs-Friedländer und Sven Thomas

Die „Achse Nord“ ist irgendwo auf ihrem rotunterstrichenen Weg von Süden nach Norden abgebrochen, steckengeblieben. Die Künstlergruppe, bestehend aus den ehemaligen DDR- Künstlern Friedrich B. Henkel, Manfred Kempfer und Martin Wilke, gibt es seit Ausstellungsbeginn nicht mehr, denn der zuletzt Genannte stieg aus. Die Gruppenausstellung sollte nach Auskunft der Galerie Van Alom „einen Beitrag zum Zusammenwachsen der Künste im ehemals geteilten Berlin leisten“, ein Vorhaben, das sich offenbar schwierig gestaltet. Zunächst auf der Ebene der Zusammenarbeit von Künstlern und Galerie. Dann aber auch, so muß man sagen, auf der Ebene der ausgestellten Arbeiten von Henkel und Kempfer. Die Steincollagen aus dem Jahr 1990, „Figuration sitzend“ und „Große Figuration“ etwa, die Henkel aus Marmorbruchstücken zusammenfügte, die Differenzen von Größe, Form, Farbigkeit, Maserung und Oberflächenstruktur von glattem Schnitt und rauhem Bruch benutzend, sind solides Handwerk, gefällig, aber mehr nicht. Ähnliches gilt für die Bilder von Manfred Kempfer. Die Schwierigkeiten, denen Künstler in der DDR ausgesetzt waren, sind deutlich zu sehen, der Mangel an Information über die Entwicklungen der Gegenwartskunst, die zu spät einsetzende Aufarbeitung der klassischen Moderne, die zu kubistischen Gemälden in den späten sechziger Jahren führte. Die Adaption und Aufarbeitung der verfemten Westkunst zeigt durchaus Eigensinn und das Vermögen kunstvoller Umsetzung, allein erscheint das heute gesehen allzu bekannt, allzu gediegen.

Meierottostraße 1, bis 14.November, Di.–Fr. 14–18.30 Uhr, Sa. 11–14 Uhr

Lustig, bunt und up to date sind die Styroporobjekte des Vassar- Girls Julia Townsend im Klub- Galerie-Café „OM“ in Prenzlauer Berg. „Nina, Pinta und Santa Maria mit dem Admirals Cup“ besteht aus drei Styroporplatten, die in der Form der Umrißlinien alter Segler ausgeschnitten und flächig bemalt sind. Der ausgesägte Admirals Cup ist mit seinem fotografischen Abbild und einem Kolumbus-Portrait beklebt. Sophisticated ist das also nicht zu nennen, was die junge Amerikanerin Julia Townsend, die an der Rhode Island School of Design und in Vassar studierte, ausstellt. Plastikfender, wie man sie von kleineren Segeljachten kennt, installiert sie als Boje Nr. 1–6 im Raum. Nummer 1, „Liebe“, ist mit rosaroten Lippenstiftküssen bedeckt, Nummer 2, „Gewalt“, ist aufgeschlitzt, aus Nummer 4, „Fruchtbarkeit“, quellen Eier, und Nummer 5, „Zärtlichkeit“, schmeichelt mit Federflaum. Gewitzter sind ihre vier Buddelschiffe, in die sie Papierschiffchen und eine Rahenbesegelung steckte, oder „Die Neue Welt“, die in einem roten Plastikquellschaumrahmen eine Weltkarte zeigt, auf der ein graues Spielzeugschiffchen von Amerika nach Afrika fährt. Auch hier ist die Botschaft unschwer zu benennen. Dennoch hat der ungenierte Elan, mit dem hier die pure Tautologie ins Werk gesetzt wird, Charme, und ihre Bedenkenlosigkeit die Farbe von Post-Pop.

Bis 20. November, Stargarder Straße 13, täglich 16–1 Uhr

Die „Zeitgeister und Zweitgeister“ von Rainer Korb im Evangelischen Gemeindezentrum Plötzensee liegen auch irgendwie knapp daneben. Neben dem, was man Stil nennen könnte, eine Richtung. Zuviel Verspieltheit, zuviel Fabulierfreude, zuviel unüberschaubare Gedankenwelt und Weltgedanken „entlarven“ den Autodidakten, und dennoch ist das alles imposant auf seine Art. Und das in einem Ausstellungsraum der nur als höchst riskant benannt werden kann, denn Korbs Filzstiftzeichnungen hängen zwischen den gewaltig düsteren Szenen des „Plötzenseer Totentanzes“ von Alfred Hrdlička. Ein merkwürdig schräges Arrangement, das das harmlose Filzstiftbunt Korbs gegen das nachtschwarze Grauen der Hrdličkaschen Folterszenen setzt. Da Korbs Sprache davon visuell und verbal aber so unendlich weit entfernt ist, wird das — notwendigerweise — unbeeindruckte Nebeneinander nicht zum Sakrileg. So überdeterminiert die Titel der Bilder sind, etwa „1-2-3 K.'s eigentliches Verständnis von Widerstandslinien und Überlebensgesichtern im Land der Gleichgültigkeit“, so überdeterminiert sind auch die Bilder selbst. Ein Gewirr von Linien und Mustern, von Farben und Formen, zwischen die die Figuren eingeklemmt sind, wird akribisch ausgemalt, weshalb den randvollen Zeichnungen auch nichts Überbordendes eigen ist. In den Linien „Bar jeden Gefühls“ ist mehr Bewegtheit zu erkennen.

Bis 12. November, Heckerdamm 226, Mo., Mi., Fr. 16–19 Uhr, Do. 10–12 Uhr, So. 12–18 Uhr

Zwei weitere junge Künstler, in der Guardini Stiftung e.V. ausgestellt, Michael Friedrichs-Friedländer mit Metall-Objekten und Sven Thomas mit Fotografien, entsprechen mit ihren Arbeiten eher gängigen Erwartungen. Friedrichs-Friedländer zeigt schwarzschillernde glatte Stahlwürfel, in die geriffelte Verläufe ein- oder ausgesägt sind. Arnold Böcklins „Toteninsel“ lieferte Sven Thomas die Anregung für seine Fotoserie gleichen Titels. Sie wollen einen imaginären Ort beschreiben und tun dies per Ablichtung ganz konkreter Plätze und Gebäude. Die braungetonten, im Blattformat 50 x 60 cm messenden Fotoarbeiten zeigen das ganze Repertoire romantischer Kunstauffassung, Fensterblicke allem anderen voran, Spiegelungen, Durchblicke in Gänge und Hallengewölbe, Naturansichten mit wiederum spiegelnden Wasserflächen. Stark mit Schärfe- Unschärfe-Effekten arbeitend, schlittern die Bilder am Rande zum Kitsch entlang. Daß sie dort nicht enden, verdankt sich dem Umstand, daß Thomas interessante und originäre Sichtweisen kennt. Stein und Moosspuren, Stein und Wasserläufe, Stein und Schmiedeeisengitter, Stein und Grasbewuchs lassen sich als realistische, aber auch abstrakte, wenn man so will als imaginäre Natur lesen. „Schönheit und Schrecken“ soll sein „fotografischer Purismus“ zeigen, es bleibt beim Sterben in Schönheit. Brigitte Werneburg

Bis 3. Dezember, Tempelhofer Ufer 22, Mo.–Fr. 9–15 Uhr