„Sie lieb ich, Herzensputte“

■ Das „Stadtfest Romantik Berlin 1992“ im Palais am Festungsgraben geht heute zu Ende

Es war einmal ein Berliner Rechtsanwalt, der entdeckte sein Herz für die Romantik. Befindlichkeiten dieser Epoche, so schien es Hans Eike von Oppeln-Bronikowski, sind heute noch – oder wieder – ganz aktuell: Fühlt sich der Einzelne nicht unbehaust in seiner Gesellschaft, fremd seiner Lebenswelt, und sucht er nicht nach neuen Lebensformen? „In so einer zerrissenen Zeit wie dieser“ begann der erfolgreiche Jurist davon zu träumen, die Romantik in einem Fest zu feiern.

Aber wie das eben so ist: kaum ein Traum wird wahr ohne Geld. Und so setzte Hans Eike von Oppeln-Bronikowski alle Hebel in Bewegung, um Sponsoren für sein geplantes „Stadtfest Romantik“ zusammenzutrommeln. Eifrig schrieb er Firmen an, suchte Mäzene, bemühte sich. Fehlanzeige: nichts als freundliche Absagen. Entsetzt darüber, „daß so wenig Geld für das Lebensmittel Kultur ausgegeben wird“, nahm Oppeln- Bronikowski kurzentschlossen einen Kredit auf und finanzierte sein Romantik-Fest selbst: 160.000 Mark für acht Tage Literatur, Ausstellungen und Theater im Palais am Festungsgraben.

Obwohl es nicht im Sinne des romantischen Erfinders war, „alles aus eigener Tasche zu bezahlen“, konnte der tiefe Griff in die Privatschatulle seine Begeisterung nicht schmälern: „Ich hab' eine solche Freude an dem Fest, daß mir das völlig egal ist.“ Ein Romantiker eben.

Beneidenswert, wer sich seine Liebhaberei leisten kann. Die Hoffnung, im nachhinein spendable Mäzene aufzutun, hat Hans Eike von Oppeln-Bronikowski zwar inzwischen aufgeben müssen, aber der Traum vom Romantik- Fest ist lange noch nicht ausgeträumt. Nächstes Jahr will der ideenreiche Anwalt ein internationales Romantik-Fest ins Leben rufen.

Der Initiator hofft, daß am Ende dieses ersten Romantik-Festes – heute abend geht es in die Schlußrunde – rund 2.500 Zuschauer den Weg ins Palais am Festungsgraben gefunden haben werden. Bisher war das Interesse an den Veranstaltungen allerdings recht unterschiedlich. Einige waren bestens besucht, andere eher bescheiden, manche fielen ins Wasser oder organisatorischer Unfähigkeit zum Opfer.

Ein kleines Glanzlicht: eine Lesung mit dem etwas irreführenden Titel „Berlin – mit einem Wort – bringt mich so herunter“. Zwei Schauspielerinnen, Renate Pick und Petra Kelling, lasen im Blauen Salon des Palais am Festungsgraben aus dem zum Teil unveröffentlichten Briefwechsel zwischen Rahel Levin Varnhagen und Pauline Wiesel.

Die Freundinnen, die sich nur selten trafen, waren temperamentvolle Briefschreiberinnen: Varnhagen schreibt in dichter poetischer Sprache, Wiesel ohne Punkt und Komma, ohne Rücksicht auf die Konventionen der Orthographie. Ihre Korrespondenz ist die Geschichte einer großen Freundschaft (Rahel: „Sie lieb ich, Herzensputte!“). Zweihundertsechzig Briefe, die zwischen der Intellektuellen und der Lebedame gewechselt wurden, sind noch erhalten. Barbara Hahn, die Moderatorin des Leseabends, arbeitet derzeit an einer Ausgabe der Korrespondenz, aus der erst 37 Briefe gedruckt sind. Eine Veröffentlichung der kommentierten Gesamtausgabe ist für das kommende oder darauffolgende Jahr im Beck Verlag geplant.

Am Mittwoch abend hatten die Veranstalter zu einer Lesung mit Karl Mickel eingeladen. Mickel, der seit gut dreißig Jahren mit Prosa, Lyrik und Essays einen festen Platz in der Literatur und Literaturtheorie einnimmt, ist als hervorragender Kenner der romantischen Literatur bekannt. Sein letzter Roman, Teil eins der Trilogie „Erstes Buch Lachmund. Lachmunds Freunde“ ist bereits vor etwas mehr als einem Jahr erschienen. Die Enttäuschung über die unzureichende Würdigung durch die Literaturkritiker des Landes war dem Dichter deutlich anzumerken.

Auch an diesem Abend im Musiksalon war das Publikumsinteresse eher dürftig: Außer Mickel, seiner Frau, der Organisatorin und der Rezensentin mit Freund war niemand weiter anwesend. Romantische Briefe in den edel ausgestatteten Räumen des Palais am Festungsgraben zu hören stößt offensichtlich auf weit größere Gegenliebe als die kritische Auseinandersetzung mit deutscher Gegenwartsliteratur.

Nachdem die wenigen Versprengten eine halbe Stunde hoffnungsvoll auf weitere Zuhörer gewartet hatten und schließlich wirklich noch ein befreundetes Ehepaar der Mickels die Runde bereichert hatte, begann der Dichter zu lesen. Der Roman beginnt am 17. Juni 1953 und verfolgt die Lebensgeschichten dreier junger Männer. Im ersten Kapitel sitzen ein Mädchen und zwei Männer in einem zum Agitationszentrum umfunktionierten Tabakladen und warten auf einen Anruf, um ihre Kräfte der gefährdeten Republik zur Verfügung zu stellen – und diese bei Bedarf zu verteidigen. Da der Hilferuf der Zentrale ausbleibt, entschließt sich der eine von ihnen zu einem Schläfchen. Die beiden anderen – er fanatischer Mozartliebhaber, sie gutgewachsen und mit riesigen Brüsten – tun das, was die Situation vorzugeben scheint: sie treiben's miteinander im Hinterzimmer.

Mickel verquickt die Beschreibung der Szene mit einer musiktheoretischen Analyse des Don Giovanni, die von Baer, einer der drei Hauptfiguren der Trilogie, seinen Zuhörern gnadenlos um die Ohren gehauen wird. Mickels Sprache erinnert an auf- und abschwellende Tonfolgen, dichtgedrängt sitzen wir um einen schmalen Tisch und lauschen, hautnah am nicht mehr ganz jungen Autor plaziert, der hocherotischen Szene – der Abend entbehrte nicht einer gewissen Pikanterie.

Nach der Lesung zeigte sich der Dichter spröde und geizte mit Auskünften. (»Ich habe ein schriftliches Ergebnis abgeliefert und möchte jetzt eigentlich nicht mehr darüber reden.«) Eine solche Haltung erschwert das Gespräch in einem derart kleinen Kreis natürlich erheblich. Und so war die Veranstaltung nach mehrmaligen Frageanläufen auch ziemlich schnell beendet. Die Behauptung des Programmzettels, Mickel nähme bewußt Anleihen bei E.T.A. Hoffmann auf, konnte an diesem Mittwoch abend nicht bewiesen werden. Hüpfenstich & Zipfmantel