: Mal ein paar Tage Urlaub
Mit Verletzungsunterbrechung, aber ohne Pause, schmettert sich der Europameister Jörg Roßkopf von einem Tischtennis-Termin zum nächsten ■ Von Peter Unfried
Berlin (taz) — Das Jahr geht so langsam aber sicher seinem Ende entgegen, und Jörg Roßkopf hat noch immer keinen Urlaub gehabt. Jedenfalls keinen, der erwähnenswert wäre. Als im Mai die Saison eigentlich zu Ende gewesen wäre, da war der 23jährige für sechzehn Jahre, das letzte davon ununterbrochener, harter Arbeit, just mit dem Gewinn der Einzeleuropameisterschaft entschädigt worden. „Danach“, sagt er, „war es schwierig, das Jahr weiterzuspielen.“ Doch da kam eben Olympia. Und im August auch schon wieder das Bundesligatagwerk bei Hauptarbeitgeber Borussia Düsseldorf.
„Aber jetzt“, stellte Roßkopf dieser Tage fest, und es klang tatsächlich etwas erleichtert, „hab' ich das Jahr fast hinter mich gebracht.“ Und das nicht irgendwie. Der „Krone in Europa“, wie er den Erfolg von Stuttgart nennt, folgte mit Kumpel Fetzner das Silber von Barcelona. Und ohne den Weltranglistenfünften wird im Welttischtennis am Ende von dessen bisher erfolgreichstem Jahr keine Rechnung mehr gemacht.
Allerdings geht auch nach wie vor keine des Deutschen Tischtennisbundes ohne ihn auf. Am Dienstag im württembergischen Aalen war es der gerade von einer Verletzung an der Schlaghand genesen(d)e Hesse, der neben dem Lübecker Peter Franz mit zwei Siegen das 4:2 über die ohne ihren Weltranglistenzweiten Jean-Philippe Gatien nur zweitklassigen Franzosen sichern mußte. Womit der DTTB zum dritten Mal hintereinander im Halbfinale der Europaliga steht und damit unterstrich, daß man nicht nur der professionellste Verband der ETTU ist, sondern auch sportlich zu den lange Jahre entrückt scheinenden Schweden aufgeschlossen, zumindest aber alle anderen Europäer abgehängt hat.
Wobei der Stellenwert der Europaliga allerdings nach wie vor in der Diskussion steht. Der Teamcoach Zlatko Cordas etwa hält sie für „sehr wichtig“, Frankreichs Trainer Decret offenbar nicht, denn er gewährte seinem Superstar Gatien Befreiung von Auswärtsspielen, womit für den Vorjahreshalbfinalisten nicht mehr als die Vermeidung des Abstiegs zu erreichen war. Überlegungen, den Wettbewerb als überflüssig zu streichen, wird aber der DTTB auch deshalb von sich weisen, weil damit hierzulande gutes Geld zu verdienen ist. In Aalen war die Halle mit 1.800 Zuschauern gefüllt, obwohl das Spiel selbst nur noch von akademischer Bedeutung war. „Hauptsache, wir gewinnen unsere Spiele zu Hause und kommen jedes Jahr ins Halbfinale oder Finale“, sagt Jörg Roßkopf. Dann rollt der Rubel, soll das heißen. Allerdings, das weiß er nur zu genau, wollen die Leute vor allem ihm zugucken, sehen, wie sich der höfliche Unscheinbare, zum „Killer in der Box“ (Fetzner über Roßkopf) verwandelt.
Der Dauereinsatz aber macht die wildesten Krieger mürbe. Was derzeit klar zutage liegt. Fetzner, gerade an der Schulter genesen, hat's jetzt im verlängerten Rücken, Peter Franz plagt wie stets, wenn die Blätter fallen, die Halswirbelsäule und Roßkopf, wie gesagt, ist in der Rekonvaleszenz. Aber, sagt der, den alle Welt „Rossi“ ruft: „Wir jammern seit Jahren über zuviel Termine, und davor haben wir gesagt, wir brauchen mehr.“ Jetzt, sagt Roßkopf, seien sie da, und basta. Erstens ist der Mann Profi, und das Hin und Her des Zelluloids mithin sein Geschäft, zweitens ist er besessen, eine Eigenschaft, die der Erfolg nur noch verstärkt hat.
„Rossi“, hat Eva Jeler beobachtet, „ist jetzt in einer unglaublich hohen Klasse.“ In einer, in der Olympiasieger Waldner und Weltmeister Persson sind, und sonst nicht mehr viele. Da paßt es, daß nächsten Mai in Göteborg Welttitelkämpfe anstehen. „Die WM ist ein großes Ziel“, sagt Roßkopf ohne Umschweife und so selbstbewußt, daß er nur den Titel meinen kann.
Er weiß aber auch, daß die resolute Frau Jeler das Wort Medaillen meidet wie Dracula den Knoblauch. „Wir wollten immer“, sagt die Cheftrainerin und meint das Jahrzehnt, in dem sie dem DTTB- Präsidenten Hans Wilhelm Gäb den Tischtennissport professionalisieren half, wie kaum einen in Deutschland, „daß eine gute, eine leistungsfähige Mannschaft herauskommt.“
Die hat man jetzt. Man weiß, daß man im Europaligahalbfinale demnächst selbst die Schweden schlagen kann. Ein letzter Rest sei aber eben nicht kalkulierbar, und der heißt Glück. „Vielleicht haben wir dann ja auch einen Termin weniger“, sagt Jörg Roßkopf, doch für einen Urlaub würde ein Ausscheiden im Halbfinale noch lange nicht reichen. Im Januar hat man zwar zehn Tage „Pause“, doch die sind „zur Vorbereitung auf die zweite Hälfte der Saison“ (Roßkopf). Welche mit der WM kulminiert. „Danach“, hat sich Jörg Roßkopf „fest vorgenommen“, „will ich erst mal ein bißchen Urlaub machen.“ Er meint ein paar Tage. Die wird er dann auch brauchen können.
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