Im Schatten der Dollars

Tourismus ist der Rettungsanker in Kubas wirtschaftlicher Not. Aber die Dollar-Welten der Touristen sind auch ein schleichender Sprengsatz der kubanischen Gesellschaft.  ■ Von Bert Hoffmann

Sichtlich verwirrt steht der deutsche Tourist im Flughafen von Havanna vor dem Schalter der kubanischen Staatsbank. Geschlossen. Klopfen hilft nichts – und das, wo ihm Pflichtumtausch bislang als Kennzeichen sozialistischer Planwirtschaft galt. Schließlich fragt er einen Grenzsoldaten, wo er denn Geld wechseln könne. „Wieso?“ antwortet der ihm, „Sie können sowieso nichts in Pesos kaufen.“

Für ausländische Besucher ist es in Kuba schwer, aus den goldenen Käfigen der Dollar-Welt herauszukommen. Denn die kubanische Regierung propagiert zwar massiv internationalen Tourismus als großen Retter aus wirtschaftlicher Not, doch will sie ihn strikt trennen von der „eigentlichen“ kubanischen Ökonomie. Fidel Castro setzt auf die Teilung der Insel: in die Dollar-Sphäre der Touristen, der Hotel-Enklaven und der ausländischen Joint-venture-Unternehmen auf der einen und die sozialistische, die „moralisch integre“ Peso-Welt der normalen Kubaner auf der anderen Seite. Während die kubanische Bevölkerung auf noch härtere Zeiten und noch knappere Lebensmittelrationen vorbereitet wird, sollen, so die offiziellen Planungsdaten in Havanna, 1995 eine Million ausländische Touristen ihren Urlaub auf Kuba verbringen – fast eine Verdreifachung der bisherigen Zahlen.

Diese wirtschaftliche „Zweiweltentheorie“ kollidiert jedoch mit der Praxis. Ob nun der Hotelfahrstuhl mangels Ersatzteilen monatelang außer Betrieb ist oder ob die Chlorzuteilung für den Swimmingpool ausbleibt – soviel „Priorität“ dem Tourismus auch zugewiesen werden mag, es ist kaum zu vermeiden, daß die kubanische Wirklichkeit immer wieder in die Devisen-Inseln einbricht. Und umgekehrt dringen die Verlockungen der Dollar-Welt mit Macht in die Poren der kubanischen Gesellschaft ein: Der junge Mann von der Staatssicherheit im Foyer des „Habana Libre“-Hotels ist selbstverständlich mit dem Zuhälter der schwarzen Schönheiten per du, die hier, im einstigen Hilton, ihre Arbeitsrunden um die Dollar-Touristen drehen. Sie kämen nicht in das Hotel, wenn er nicht ein Auge zudrücken würde; und für den Sicherheitsbeamten in Zivil fallen dabei Brosamen von den vertikalen Dollar-Geschäften ab. Diese werden um so wichtiger für ihn, je mehr die materiellen Privilegien schrumpfen, die der kubanische Staat an seine Stützen verteilen kann.

Im Schatten der Dollars wächst der dynamischste Teil der kubanischen Wirtschaft. Der Schwarzmarkt boomt. Wo zwei aus der Hotelbar abgezweigte Flaschen Rum ein Lehrergehalt einbringen, ist „Tourismus“ auf Kuba zum Traumberuf Nummer eins geworden. Antonio [Name geändert – d.R.] ist 27 Jahre alt und hat es geschafft. Er trägt modische Jeans, ein Hemd aus dem Intershop und – unübersehbar – das Statussymbol der kubanischen Jugend: Sportschuhe, echte Nike aus US-Produktion. Fünf Jahre lang ist er in Bitterfeld zum Chemielaboranten ausgebildet worden. Jetzt arbeitet er als Reiseleiter und im Fünfsternehotel „Ancón“ als Animateur für „Neckermann Urlaubsreisen“ – dank seiner guten Deutschkenntnisse und der Beziehungen seines Schwagers.

Das „Ancón“ ist 16 Kilometer von der Kleinstadt Trinidad – der „kolonialen Perle“ Kubas an der Südküste der Insel – entfernt und ein Musterbeispiel für Tourismus, wie ihn sich die kubanische Regierung wünscht. Das Luxushotel liegt abgelegen an der Spitze einer engen Landzunge, die ins Karibische Meer hinausragt. Früher kamen auch Kubaner an den weißen Sandstrand, heute ist er exklusiv für die Gäste des Hotels. Auch das zweite Hotel auf der Landzunge, das „Costa Sur“, das einst privilegierter Urlaubsort verdienter Kubaner war, wird gerade zu einem reinen Devisenhotel umgebaut. Auf dem Lastwagen, der die Bauarbeiter am Nachmittag in ihr Camp auf dem Festland fährt, ist wenig zu spüren von der „Ehre, die es für jeden Kubaner bedeutet, an dieser Stelle mit dem Spaten in der Hand für die Revolution zu arbeiten“, die der aus der Provinzhauptstadt gekommene Regierungsfunktionär beschwört. Denn heute ist in Kuba „Tag des Bauarbeiters“. Da gibt es zwei Stunden früher frei, Reden, Auszeichnungen, gelangweilten Beifall und – Rum. Der sichert die Anwesenheit.

Das letzte Mal war Rum vor vier Wochen zu bekommen gewesen, als in Trinidad die offizielle „Kulturwoche“ gefeiert wurde. Seitdem liegen in der Stadt alle Kubanern zugängliche Kneipen trocken; hinter dem leeren Tresen sitzen die Angestellten ihre Zeit ab. Auch die „Cocktail-Bar“, die der kommunistische Jugendverband direkt an der plaza eingerichtet hat, ist dicht. Allein die „Pizzeria Tosca“ bietet Teig mit Marmelade drauf an, dazu Limonade. Die Jugend des Ortes steht Schlange. Nach knapp einer Stunde ist beides ausverkauft, viele gehen leer aus. Antonio schaut in einer Mischung aus Verachtung und Mitleid darauf herab. Er findet es entwürdigend. Er ißt – von Berufs wegen – immer mit den Reisegruppen im Hotel oder in den kolonialen Dollar-Restaurants der Altstadt von Trinidad. Antonio verdient einen durchschnittlichen Lohn, lebt aber in einer anderen Welt.

Drei Stunden dauert die Tour, mit der Antonio die deutsche Reisegruppe durch die restaurierten Kolonialpaläste der Zuckerbarone von einst führt. „Das Kopfsteinpflaster, über das Sie laufen, meine Damen und Herren, ist die Arbeit von Sklaven.“ Die rundliche Saarländerin im Blümchenkleid ärgert sich über die staatlichen Souvenirstände: „An allen das gleiche Einheitssortiment an einfallslosen Handarbeiten, Che-Guevara-Plakaten und Folkloremusik wie in den Hotels in Havanna.“ Und ihr Camcorder-bewehrter Männe pflichtet ihr bei, daß da in Thailand letztens wirklich mehr Auswahl war. Man kennt die Welt, man vergleicht. Der Tourismus-Weltmarkt stellt hohe Ansprüche, so niveaulos diese auch scheinen mögen.

Internationaler Tourismus ist für Kuba eine Devisenquelle, die mit schier unersättlicher Gefräßigkeit selber Devisen verschlingt; denn die Ansprüche der umworbenen Touristen auf Surfboards und CDs, auf geblümtes Klopapier und Postkarten in strahlenden Farben sind nur durch Importe zu befriedigen. Auch das kubanische „Cristal“- und „Hatuey“-Bier wird erst in großen Tanks ins Ausland geschifft, dort in Alu-Dosen gefüllt und dann nach Kuba zurücktransportiert, bevor es in den Dollar- Shops mit „Miller Beer“ und deutschem „Jever“ konkurrieren kann. Der Igel läuft mit dem Hasen um die Wette.

Die Reisegruppe der Saarländerin hatte in ihrem Hotel am Strand von Ost-Havanna eine Zwei-Tage-Tour nach Trinidad und zurück gebucht, „um Kuba kennenzulernen“, wie sie sagt. Nach einem Abstecher an den Strand von Ancón fährt der halbleere japanische Kleinbus am Nachmittag zurück, über Straßen, die der dramatische Ölmangel seit dem Wegfall sowjetischer Lieferungen praktisch leergefegt hat. Alle staatlichen Fahrzeuge müssen Anhalter mitnehmen, wenn sie Platz haben, so eine Anordnung der Regierung. Die vollklimatisierten Coacher-Busse der Touristen hingegen dürfen nicht halten – entsprechend unbeliebt sind sie bei der Bevölkerung, für die die drastische Reduzierung der öffentlichen Busse jeglichen Transport zu einem unendlich zeitraubenden Problem hat werden lassen.

Kurz vor Cienfuegos, der Stadt mit der gigantischen Raffinerie für das einst so großzügig sprudelnde Erdöl aus der Sowjetunion, hält der Reisebus an einer Tankstelle. Trotz intensivem Drängen versichert der Tankwart, Tourismus- Priorität hin, Tourismus-Priorität her, er habe nicht einen einzigen Tropfen Benzin mehr. Für den Reiseleiter ist Krisenmanagement angesagt: Man würde im besten Hotel von Cienfuegos übernachten, selbstverständlich zahle der Veranstalter alles, morgen dann gehe es auf jeden Fall zurück. Schweres Murren aus den Reihen, man habe schließlich zwei Tage gebucht und nicht drei. Antonio bietet all seinen Charme auf, um den Abend in Cienfuegos schmackhaft zu machen. Derweil steuert der Chauffeur eine Fabrik an, die, wie er weiß, eine eigene Zapfsäule auf dem Werksgelände hat. Auch hier: „No hay“, es gibt kein Benzin. Gut eine halbe Stunde lang redet der Fahrer auf den Mann ein – dann gibt es doch Benzin. „Die Treibstoffgutscheine des Tourismusunternehmens haben nichts geholfen, doch ein paar Diplomatencoupons“, erklärt der Chauffeur. „Die haben das Wunder bewirkt.“ Antonio klopft dem Kollegen anerkennend auf die Schulter.

Probleme wie diese sind in den staatlichen Tourismusplänen nicht vorgesehen. Neben dem Werben um ausländische Unternehmen, die ihr eigenes Management mitbringen, heißt Tourismusförderung auf Kuba in erster Linie: Steigerung der Bettenkapazität in den Hotels der gehobenen Kategorien – ob die bestehenden überhaupt ausgelastet sind oder nicht. Allein auf der kleinen Insel Cayo Coco an der Nordküste sollte eine 30.000- Betten-Anlage aus dem Boden gestampft werden – mangelnde Finanzierung hat diesen Baustelle gewordenen Größenwahn vorerst auf Eis gelegt. Denn gerade auch beim Tourismus trifft die Wirtschaftsblockade der USA Kuba ins Mark: Die Besucher aus Kanada und dem fernen Europa sind in den anderen „Urlaubsparadiesen“ der Karibik die Minderheit. Barbados, Cancún oder die Bahamas leben vor allem von den US-Amerikanern, die für den Kurzurlaub oder das Wochenende gen Süden jetten. Kuba ist dieser „natürliche Markt“ politisch verschlossen – und es gibt wenig Anlaß zu hoffen, daß die USA in absehbarer Zeit von sich aus zu einer Änderung ihrer Blockade-Politik bereit sind. Doch die Expansion des Tourismus wird auf Kuba in derart großen Dimensionen geplant, daß sie im Grunde nur dann den in sie gesetzten Erwartungen gerecht werden kann, wenn Kuba auch in der Praxis nur eine Flugstunde von Miami entfernt liegt. Wo so jedes neue Hotelbett den wirtschaftlichen Druck auf die kubanische Regierung verstärkt, zu einer politischen Aussöhnung mit den USA zu kommen, untergräbt der Ausbau des Tourismus auch die materielle Basis der antiimperialistischen Unnachgiebigkeit Fidel Castros.

Kuba tut sich schwer mit dem Exportprodukt Tourismus – in jeder Hinsicht. Immer und immer wieder ist beschrieben worden, wie die Insel vor der Revolution das „Bordell der Yankees“ war, die „karibische Riviera“, in der es für die Dollar-Besitzer alles und für die Kubaner nichts gab. Dieses entwürdigende Sündenbabel der Reichen hinweggefegt zu haben ist bis heute eine der großen moralischen Grundlagen der Revolution. „Man kann sich vorstellen“, schrieb der nicaraguanische Dichter-Priester Ernesto Cardenal, „was für eine Demütigung es für die Kubaner gewesen sein muß, an diesem Strand und an vielen anderen Stränden, an Tausenden von Kilometern Küste, immer wieder auf Schilder zu stoßen wie ,Privatstrand‘, ,Betreten verboten‘, ,Zutritt untersagt‘.“ Die Demütigung der Vergangenheit kehrt zurück. Und viele Kubaner empfinden die neue „Dollar-Apartheid“ nicht minder demütigend als die alte.