Porträt des Tages
: Der Berliner

■ Warum er und sie etwas Besonderes war – und ist!

Ein Berliner ist nicht etwa, wie vielerorts angenommen wird, ein in Fett ausgebackener Krapfen mit einer Füllung aus Pflaumenmus. Das nämlich ist ein Pfannkuchen. Jedenfalls in Berlin. Nur in Karlsruhe, Paderborn, Schwerin und anderswo ist ein Pfannkuchen ein Berliner. Also, in Berlin käme kein Mensch darauf, einen Berliner zu essen, ebensowenig wie ein Brötchen, weil das hier Schrippe (sprich: Schrüppe) heißt, aber das führt nun doch etwas vom Thema weg.

Genaugenommen ist der Berliner (was selbstredend auch für die Berlinerin gilt) nicht mehr und nicht weniger als ... ja, doch: etwas Besonderes. Nun, um präzise zu sein, eigentlich was ganz Besonderes. So wie die Stadt jahrzehntelang den alliierten Sonderstatus hatte, so berief sich der Berliner auf seinen ganz privaten Sonderstatus – nur eben inoffiziell. Ebenso selbstverständlich wie nebenbei.

Haben Sie vielleicht einmal bemerkt, wie das war, wenn sich in, sagen wir mal: Montepulciano mehrere Menschen zufällig beim Espresso kennenlernten? Katrin kommt aus Hamburg und Josef aus Tübingen usw. usf., interessiert alles kein Schwein, bis dann diese ebenso kurze wie wirkungsvolle Pause entsteht und Werner ganz beiläufig einfließen läßt, er sei aus Berlin. „Ooooooch, waas, wiirklich?“ Tja, und schon war Werner der King, eben: der Berliner.

Hat dann geduldig wie routiniert die Fragen der Westdeutschen (das nämlich waren alle anderen, sofern sie nicht in der DDR wohnten: die Westdeutschen) beantwortet: Sag mal, wie hältst du das denn aus, so mit der Mauer drumrum? – „Du, das merkst du nach ein paar Jährchen gar nicht mehr.“ – Sag mal, bei euch haben doch die Kneipen die ganze Nacht offen? – „Ja du, wir geh'n echt so um zwölfe noch auf'n Bier los.“ – Sag mal, am 1. Mai ist ganz schön Putz bei euch, oder? – „Klar, da qualmt schon mal die eine oder andere Karre, ham' die Bullen keine Chance, du.“

Ei, das war schön, da hat der Berliner gut mit gelebt. (Man muß dazu sagen, daß es sich in der Regel um zugereiste Berliner handelte, die ja ohnehin in der öffentlichen Mehrheit und daran zu erkennen waren, daß sie mit Vorliebe „wa“ und „icke“ in die Sätze flochten. Ohnehin sind Konvertierte ja stets verbissener.) Und dann kamen Reagan und Gorbatschow und der große Abgang über Ungarn, und die Mauer fiel, und alles war hin.

Keine Insel mehr, keine Halbstadt, kein Drahtverhau. Nie mehr dieser wohlige Schauder, inmitten waffenstarrender Kommunisten zu wohnen. Weg! Fort!! Futsch!!! Nie wieder würde einer wie John F. Kennedy kommen und behaupten, er sei ein Berliner. Wozu auch? Selbst die Westdeutschen würden uns nicht mehr bewundern und an den Lippen hängen. Schnüff!

Nicht wahr, das finden Sie jetzt auch bedauerlich? Würden am liebsten ein Taschentuch holen für den Berliner. Is' ja auch wirklich schlimm (sprich: schlümm), so was von Identitätsverlust. Kann man richtig mitfühlen, stimmt's?

Tut aber gar nicht nötig. Hat sich nämlich schon wieder gerappelt, der Berliner. Wenn Sie also demnächst in der, sagen wir einfach mal: Provence beim Gläschen Wein einige Menschen kennenlernen, dann wird Ihnen mit Sicherheit einer auffallen, der alles über den Osten weiß. Über die Stasi, über Skins in Fürstenwalde, über Autoschieberei nach Polen, Immobiliengeier in Erfurt, die mangelnde Flexibilität von DDR-Bürgern, Hauptstadt und Regierungssitz, über Olympiapläne, über ... – ach, einfach über alles.

Widerspruch ist sinnlos, denn: das ist er, der Berliner. Schon wieder mittenmang und mit diesem gewissen beifallheischenden Blick. Nehmt Euch in acht, Ihr Westdeutschen! Und sagt nicht, es hätte Euch niemand gewarnt! Herr Thömmes