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Die hier stark gekürzt abgedruckte Rede „über die Judenfrage“ hielt Hermann Göring am 6. Dezember 1938 im Sitzungssaal des Reichsluftfahrtministeriums. Adressaten waren die Gauleiter, Oberpräsidenten und Reichsstatthalter. Göring war unmittelbar nach den Pogromen vom 9./10. November von Hitler beauftragt worden, „die Judenfrage so oder so zur Erledigung zu bringen“ und „die entscheidenden Schritte zentral zusammenzufassen“. Wie schon bei der Ausformulierung der Nürnberger Gesetze (1935) ging es auch nach den Pogromen darum, den Einfluß der Partei zurückzudrängen, die wilden Plünderungen, Judenverfolgungen und Enteignungen der nazistischen Basis durch koordiniertes staatliches Handeln zu ersetzen. Die Rede markiert den Übergang vom Pogrom zu dem, was Göring die — die staatlich koordinierte — „organische Lösung der Judenfrage“ nannte.

Göring hatte die nach außen weitgehend getarnte Koordinierungsfunktion zur „Lösung der Judenfrage“ als Beauftragter für den Vierjahresplan inne. In dieser Eigenschaft waren er, seine Staatssekretäre und Beraterstäbe für die wirtschaftliche Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges zuständig. Bereits am 12. November 1938 hatte Göring eine größere Anhörung mit 100 Ministern, Staatssekretären und (Juden- )Experten veranstaltet. War diese Sitzung in vieler Hinsicht eine Art offenes Brainstorming gewesen, bei dem sich Göring an neuen Vorschlägen interessiert gezeigt hatte, so dokumentiert die Rede vom 6. Dezember die Ergebnisse eines Entscheidungsprozesses, der weniger als vier Wochen gedauert hatte. Die hier abgedruckte Rede ist gekennzeichnet vom puren — und für seine internen Reden typischen — Zynismus Görings, aber auch von seiner Gabe, komplizierte Sachverhalte eingängig darzustellen und Maßnahmen, die seine Fachleute „herausklamüsert“ hatten, politisch durchzusetzen. Götz Aly