Japan steckt tief im Skandalsumpf

Tokioter Staatsanwaltschaft beschuldigt Japans führende Politiker der Zusammenarbeit mit Rechtsradikalen und der Mafia/ Erpressung von Millionenbeträgen  ■ Aus Tokio Georg Blume

Nicht nur den Deutschen verderben die Umtriebe von Rechtsradikalen ihren internationalen Ruf. Zwar nicht mit Gewalttaten auf der Straße, jedoch mit raffinierten Erpressungsversuchen haben japanische Rechtsradikale Einfluß auf Nippons mächtigste Politiker genommen. Das enthüllte die japanische Staatsanwaltschaft am Donnerstag und Freitag in ihrem Bericht vor dem Tokioter Bezirksgericht, wo derzeit der Prozeß gegen Hiroyasu Watanabe, den ehemaligen Chef des skandalumwobenen Paketdienstes „Sagawa Kyubin“, stattfindet.

Watanabe und seine Paketfirma stehen im Zentrum einer Verschwörungs- und Bestechungsaffaire, die alle Akteure legaler und illegaler Macht in Japan vereinigt: Vom angehenden Premierminister bis zum Fraktionschef der Regierungspartei, vom Minister bis zum einfachen Abgeordneten. Ihre Skandalgeschichte hat Japan überfordert. Sogar die Oppositionsparteien, die schon aufgrund der bisherigen Erkenntnisse in der Sagawa-Kyubin-Affaire einen Untersuchungsausschuß einberufen wollten, waren völlig verdattert: „Unglaublich, schockierend“, stotterte Sadao Yamahana, Generalsekretär der Sozialdemokraten.

Konkret stand man 1987 kurz vor der Wahl Noboru Takeshitas zum japanischen Partei- und Regierungschef. Zuerst verlief alles nach Plan, und der vorherige Regierungschef, Yasuhiro Nakasone, sollte im November des Jahres von Takeshita abgelöst werden. Doch dann trat die rechtsradikale Gruppe mit dem Namen „Kominto“ (deutsch: Kaiserliche Volkspartei) auf den Plan. Sie drohte eine Kampagne unter dem Motto an: „Wir wollen Takeshita als Premierminister, weil er immer soviel Geld verdient.“ Damit spielte die Gruppe offenbar auf die Verwicklung Takeshitas in einen noch weiter zurückliegenden Bankenskandal in Osaka an. Heute vermutet man, daß Kominto über für Takeshita kompromittierende Informationen verfügte.

Um Takeshita vor seinen kaisertreuen Verrätern zu retten, pilgerten acht Männer, deren Namen die Staatsanwaltschaft jetzt nannte, zu Hirosayu Watanabe, der über gute Kontakte zur „Yakuza“, dem organisierten japanischen Gangstertum, verfügte. Nur die Yakuza war schließlich in der Lage, die Rechtsradikalen zum Schweigen zu bringen. Möglicherweise gingen die acht auch direkt zu den Rechtsradikalen, um die Sache aus der Welt zu schaffen. Das gelang ihnen natürlich. Immerhin hatten sie 38 Millionen Mark für den Stopp der Kampagne geboten. Ob sie das Geld wirklich zahlten, bleibt derzeit noch offen.

Die acht Männer stehen in der politischen Rangliste Japans ganz oben. Da ist zunächst der damals Betroffene, Noboru Takeshita, der trotz seines in einem wiederum ganz anderen Skandal erzwungenen Rücktritts hinter den Kulissen immer noch über großen Einfluß verfügt. Ihm folgt Shin Kanemaru, der gerade zurückgetretene Fraktionschef der Liberaldemokraten und bislang mächtigste Politiker des Landes. Von ihm wußte man zwar bereits, daß er illegale Parteispenden vom Yakuza-Freund Watanabe eingestrichen hatte. Jetzt aber weiß die Tageszeitung Asahi Shinbun zu berichten: „Sogar Parteifunktionäre sind bestürzt, weil klar geworden ist, daß Kanemaru nicht einmal, sondern wiederholt mit der Yakuza zu tun hatte.“

Als neuer Fraktionschef wurde vor wenigen Tagen der vormalige Generalsekretär der Partei, Keizo Obuchi, berufen. Doch Obuchi ist die Nummer Drei auf der Liste der Staatsanwaltschaft, gefolgt von Ichiro Ozawa, seinem parteiinternen Gegenspieler. Japans wichtigste Politiker sind damit aufgezählt.

Nicht überraschend stand die Regierungspartei gestern Kopf: Sie reichte gegen die zuständigen Staatsanwälte eine Klage wegen „Ehrverletzung“ ein. Nur in der Sache konnte niemand widersprechen.