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Besitzstand geht über alles

Das Gatt-Abkommen über eine Liberalisierung des Welthandels ist blockiert/ Die Bauernlobby der EG will an ihren Pfründen festhalten  ■ Von Erwin Single

Berlin (taz) – Über eines sind sich die Regierungschefs der sieben führenden Industrienationen seit Jahren einig: nur ein erfolggreicher Abschluß der Gatt-Verhandlungen kann die dahinsiechende Weltwirtschaft wieder ankurbeln. Denn nach Berechnungen der US-Handelsdelegierten Carla Hills soll die in der sogenannten Uruguay-Runde angestrebte Handelsliberalisierung weltweit einen Wachstumsschub von rund 5.000 Milliarden US-Dollar auslösen. Und auch die EG- Spitzen haben auf ihrem Sondergipfel keinen Zweifel daran gelassen, welche Bedeutung sie einem Zustandekommen des seit sechs Jahren blockierten Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (Gatt) beimessen.

Obwohl sich beide Seiten bei der von den USA geforderten Reduzierung der europäischen (vor allem französischen) Getreideexporte um 24 Prozent nähergekommen waren, blieben die EG-Kommissare hart: sie sperrten sich gegen eine drastische Einschränkung der EG-Ölsaatenproduktion von 12 auf 7 Millionen Tonnen und Ausfuhrbegrenzungen von Getreide-Substituten (darunter Korngluten wie etwa Maiskleber), die als Viehfutter verwendet werden. Statt dessen legten die EG eigene Forderungen vor: Die aus den USA stammenden Korngluten sollten an den EG-Grenzen verteuert und die nach der EG-Agrarreform vorgesehenden Direktzahlungen an die Bauernschaft nicht als wettbewerbsverzerrende Subventionen behandelt werden. Der transatlantische Getreide- und Ölsaatenstreit, der sich an den Einnahmenverlusten der amerikanischen Sojabauern von rund einer Milliarde Dollar im Jahr und den europäischen Agrarsubventionen entfacht hatte treibt nun auf einen offenen Handelskrieg zu.

Dabei geht es in der 1986 im uruguayischen Badeort Punta del Este vereinbarten Gatt-Verhandlungsrunde nicht nur um den Zollabbau, sondern auch um die Öffnung des bisher keinen Gatt-Normen unterworfenen grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs, den Agrarhandel, um Investitons- und gewerblichen Rechtsschutz, Patente oder die Zusammenarbeit mit Weltbank und Internationalem Währungsfonds. Es geht also um die außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Welthandels in den 90er Jahren.

Gemessen an der Latte von Problemen, ist es geradezu absurd, daß ausgerechnet der Agrarhandel zu unüberwindlichen Konflikten geführt hat – und das zwischen den Handelsblöcken. Hatte der internationale Güterverkehr 1990 ein Volumen von 3.470 Milliarden und der Dienstleistungsaustausch von rund 770 Milliarden US-Dollar, trug der Agrarhandel nur mit 11 Prozent zum Welthandel bei. In der Europäischen Gemeinschaft trägt die landwirtschaftliche Erzeugung gerade 3,5 Prozent, in Deutschland gar nur zwei Prozent zur Wertschöpfung bei. Seit Jahren hat sich aber die internationale Handelswelt gedreht: während immer mehr Schwellenländer statt mit landwirtschaftichen Produkten lieber mit Industriegütern auf den Markt drängen, schwemmen die Industriestaaten diesen mit subventioniertem Getreide, Butter oder Milchpulver zu.

Die EG-Staaten, die USA und Japan haben wegen ihrer Bauernlobbys den Protektionismus wiederentdeckt und gefährden so den freien Welthandel. Ein drastischer Subventionssabbau, wie ihn die in der Cairns-Gruppe vertretenen Agrarexportstaaten verlangen, würde an Besitzständen rütteln – denn die jährlichen Agrar-Stützungsmaßnahmen belaufen sich weltweit auf rund 300 Milliarden US-Dollar.

Ohne Einlenken von Europas Bauernführern und ihrer politischen Hintermänner müßte das Gatt-Abkommen zwangsläufig scheitern. Denn ohne einen freien Zugang zu den Agrar- oder Textilmärkten der westlichen Industrienationen werden die Schwellenländer weder den Patentklau einstellen noch ihre Länder für Dienstleistungen des reichen Westens öffnen.

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