■ Die SPD legt ihren Kompromiß zum Asylrecht vor: Gemeinschaftlicher Selbstbetrug
Das Ende des innerparteilichen Streits kennt Sieger nicht und nicht Besiegte – die SPD hat einen Kompromiß gefunden, bei dem alle recht behalten haben. Das Problem ist nur: Wer weiß jetzt noch, worum es eigentlich ging? Offenbar hat das Publikum die Kritiker der Petersberger Wende mißverstanden, wenn es angenommen haben sollte, es ginge um den Erhalt des Artikel 16. Denn gerade die Kritiker willigen jetzt ein, das Grundgesetz zu ändern. Soweit hat sich Björn Engholm in seiner Partei durchgesetzt. Aber möglich war das nur, weil der SPD-Vorsitzende seiner Partei ein Zeichen der Selbstbegrenzung geschickt hat: Die Länderliste kommt im neugefaßten Sofortprogramm nicht mehr vor – jedenfalls nicht das Wort.
Der Streit um den berühmten Satz „Politisch Verfolgte genießen Asyl“ endet seltsam profan. Was mit gutem Grund als Auseinandersetzung um die Quintessenz galt – einer SPD und einer Bundesrepublik, die die Lehren der Geschichte kennen –, soll mit einem 10-Punkte-Papier besiegelt sein, das nur Fachleute wirklich beurteilen können und ohnehin bloß eine begrenzte Reichweite haben soll? Ihren sachlichen Nutzen werden die zehn Punkte in den Verhandlungen mit den anderen Parteien zeigen. Absehbar ist in dieser Hinsicht eine unerfreuliche Flickschusterei, in deren Verlauf die nicht ganz inkompatiblen Positionen von FDP, SPD und CDU zu einer Verfassungsänderung zusammengeschmiert werden. Wenn dabei ein Rechtsstatus für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge geschaffen wird, wäre das viel. Über die Verhandlungsergebnisse wird sich die SPD weiter streiten. Die CDU wird darauf hinweisen, daß mehr nötig gewesen wäre, die CSU wird das Spiel mit dem Feuer weiterbetreiben. Die Neuauflage der Debatte in ein, zwei Jahren kann vorhergesagt werden.
So weit, so schlecht. Wohlmeinende werden sagen, daß den beteiligten Akteuren in der SPD gar nichts mehr übriggeblieben ist, als sich irgendwie wieder miteinander zu arrangieren. Denn die Sache drohte selbstzerstörerisch zu werden. Das stimmt, leider. Warum aber ist das so? Keine Minute ist die SPD in der Debatte um Zuwanderung und Asyl bisher von der Leitfrage weggekommen: Wieviel müssen wir aufgeben? Engholm hat sie mit Petersberg so gestellt, und sein kritisches Parteivolk hat ihm geantwortet: weniger, als du willst. Die SPD – die Parteiführung nicht anders als ihre Opponnenten – bewegt sich damit getreulich nach den Mustern der Union. Wenn der Artikel 16 nicht mehr taugt für die Flüchtlingsströme der neunziger Jahre, so deren Antwort auf den neuen gesellschaftspolitischen Konflikt, dann eben weg mit diesem Schatten der Vergangenheit.
Zu Recht verteidigt die SPD diesen Schatten der Vergangenheit, weil er für die demokratische, humane Substanz der Bundesrepublik steht. Aber sie verteidigt ihn blind, solange sie ihre Augen nur gezwungenermaßen auf die neue Konfliktlage richtet. Die Art, wie die SPD ihren heftigen Streit jetzt aufgelöst hat, ist im Grunde ein Akt gemeinschaftlichen Selbstbetrugs, bei dem alle brav ihre alten Rollen spielen. Das Grundrecht und die Rechtswegegarantie werden festgeschrieben – gute alte SPD. Die Länderliste wird als Begriff gestrichen, aber abwehren und abweisen will oder muß die SPD auch, uneingestandenermaßen. So basiert ihr Beschluß eben auf Lebenslügen: schon lange nicht mehr steht die Rechtswegegarantie allen, die hier ankommen, im gleichen Maße offen. Ein „deutlich beschleunigtes und vereinfachtes Verfahren“ verlangt der SPD-Beschluß in den „offensichtlich unbegründeten Fällen“. Die Länderliste ist tot, interpretieren tollkühn die Parteilinken. Die Länderliste gibt es längst, meint Oskar Lafontaine zutreffend. Belassen wir es doch bei der Länderliste im Kopf des Entscheiders, empfiehlt raffiniert Gerhard Schröder.
Um „Generosität“ ging es Verfassungsvater Carlo Schmidt beim deutschen Asylrecht. Gerade die aber ist verlorengegangen. Es hilft nichts: Der praktische Umgang mit dem liberalen Artikel 16 ist höchst illiberal geworden. Wieviel Sinn macht es, ihn auf dem Niveau von Verfahrensbeschleunigungsgesetzen zu verteidigen, die der zuständige Justizminister hart an der Grenze der Verfassung einordnet? Wieviel Sinn machen Rechtsweg und „offene Tür“, wenn der Entscheider im ersten Zimmer den Ankommenden als „offensichtlich unbegründet“ einstuft und im Nebenzimmer bereits der Richter sitzt, der den Widerspruch ablehnt?
Der Krach in der SPD hat ein Dilemma offenbart, vor dem alle stehen, die „Generosität“, eine großzügige und offene Haltung wollen. Ein rechtlich und moralisch vernünftiger Umgang mit Flüchtlingen, egal ob Verfolgte oder andere, ist in höchster Gefahr. Der SPD ist bislang nichts Besseres eingefallen, als der schwindenden Akzeptanz damit zu begegnen, daß sie vom Artikel 16 festhält, was gerade noch geht – auf die Gefahr hin, längerfristig alles preiszugeben. Generosität, schreiben Daniel Cohn-Bendit und Thomas Schmid, muß im Grunde eine freiwillige Haltung sein. Ist es nicht besser, den Artikel 16 nüchtern auf seine Tauglichkeit abzuklopfen und gründlich zu reformieren, als sich ängstlich auf das zu verlegen, was an Gesetzeszwang gerade noch hält? Tissy Bruns
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen