: „Perlen für die Säue!“ Perlen für die Positiven!
■ Das Treffen der HIV-Positiven war keine Versammlung der Gedemütigten und Geächteten
Hamburg (taz) – Die Stimmung ist gut, es herrscht entspannte Fröhlichkeit, als der Hamburger Gesundheitssenator Ortwin Runde (SPD) mit einer lockeren Begrüßungsrede vor die Teilnehmer der dritten Bundespositivenversammlung tritt. Von der Decke des Saales im Jugendgästehaus an der Horner Rennbahn baumeln aufblasbare rosa Glücksschweinchen, Symbolfiguren der diesjährigen Tagung für Menschen mit HIV und Aids.
Das Motto des Treffens heißt: „Perlen für die Säue!“. Das gefällt Ortwin Runde, weil diese Tagungsüberschrift „bestehende Vorurteile aufgreift und positiv wendet“, wie er sagt. Ein paar Perlen für die von der Gesellschaft zu „Säuen“ gestempelten HIV-Positiven und Aidskranken hat er selber mitgebracht: Eben hat nämlich die Konferenz der Länderminister eine Finanzspritze von zwei Millionen Mark für die Deutsche Aids- Hilfe (DAH) beschlossen. Für diese Mitteilung erntet er begeistertes Klatschen.
Nein, dies ist nicht eine Versammlung der Resignierten und Todgeweihten, kein Treffen der Gedemütigten und Geächteten, die über ihr Schicksal hingebungsvoll und voll Selbstmitleid lamentieren. Die Opferrolle haben sie abgelegt. Selbstbewußt fordern die Tagungsteilnehmer ihr Recht auf ein sinnvolles pralles Leben, ein mündiges Patientendasein und einen Tod in Würde.
Sie wollen Perlen, und sie wollen sich keine Glasmurmeln andrehen lassen – wie das beispielsweise bei der Behandlung HIV-Positiver in Arzt- und Zahnarztpraxen gang und gäbe ist. „Brücken und Kronen werden bei uns Positiven oft gar nicht erst gemacht“, berichtet Thomas Klinke von der Gruppe Dignity, die sich mit der Diskriminierung Aidsinfizierter befaßt, „es gibt nur Plomben, weil der Patient nicht mehr lange genug beißen und kauen wird.“
Perlen für die Positiven – in bezug auf die Gesundheitsversorgung bedeutete das vor allem: die Berücksichtigung junger, armer und alleinlebender Schwerstkranker, eine Patientengruppe, die bisher völlig durch die Maschen des Versicherungssystems fällt. Einen „singlegemäßen Sozialpakt“ nennt das DAH-Vorstandsmitglied Hans Peter Hausschild, und er will damit auf das Interessenbündnis der „Schau-Positiven“ mit der ständig anwachsenden Gruppe der Singles in dieser Gesellschaft verweisen.
Allerdings: Es sind vor allem die schwulen Männer, die in den vergangenen Jahren die Aids-Hilfe aufgebaut und unter ihrem Dach zu Kraft und Selbstbewußtsein gefunden haben. Inzwischen haben sich auch die Junkies, die zweite Gruppe der Hauptbetroffenen, ein paar Hinterzimmer ergattert – doch jetzt klingeln die Frauen an der Eingangstüre Sturm.
Von den rund 55.000 offiziell registrierten HIV-Positiven sind inzwischen 9.000 weiblichen Geschlechts. Immerhin 50 von ihnen hatten sich auf der Hamburger Positivenversammlung eingefunden, „eine Randgruppe in der Randgruppe“, wie es eine der Frauen formulierte. Und eine andere spottete: „Sollen die doch gleich Perlen für die Eber fordern.“ Die HIV-infizierten und aidskranken Frauen fühlen sich doppelt isoliert: als Außenseiterinnen in der von Männern dominierten Aids-Hilfe, von der sie nicht nur Solidarität, sondern ganz konkret ihren Anteil an den Aids-Geldern und die Einrichtung eines Frauenreferats einklagten. DAH- Pressereferent Michael Lenz antwortete diplomatisch: „So wie die erste Bundespositivenversammlung zum Türöffner für die Drogenverbraucher wurde, könnte diese Versammlung zum Töröffner für die Frauen werden.“
Nicht wahrgenommen fühlen sich aber die Frauen auch von Forschern und Gynäkologen. Über frauenspezifische Aids-Symptome, über besondere Prophylaxe- und Behandlungsprogramme, so die DAH-Frauenbeauftragte Claudia Fischer, würde bisher nicht einmal richtig geforscht. Hartnäckig hält sich beispielsweise immer noch das Gerücht, infizierte Frauen hätten eine geringere Lebenserwartung als ihre männlichen Leidensgenossen.
Nach den Ursachen aber wird nicht gesucht. Klar ist inzwischen, daß aidsinfizierte Frauen häufiger an bestimmten Pilzinfektionen und Vorstadien von Gebärmutterhalskrebs litten. Doch die Mehrheit der Gynäkologen wüßten nicht einmal darüber Bescheid, könnten also auch keine entsprechenden Vorsorgemaßnahmen in die Wege leiten.
So machen die betroffenen Frauen immer wieder Erfahrungen wie jene Frau, der von ihrem Arzt das positive Testergebnis mitgeteilt wird; gleichzeitig gibt er ihr ein Informationsblatt aus dem Jahre 1984 mit auf den Weg. Gabi Haas
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen