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Gauweilers Revolte abgeschmettert

Dank autoritärer Parteitagsregie eindeutiges Ja zu Maastricht auf dem CSU-Parteitag/ Parteibasis muckt auf/ Asyldiskussion auf Stammtischniveau: Mosern gegen den „Scheißstaat“  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

„Heute entscheidet sich, ob wir uns zu einem Jubelgremium, das einmal im Jahr zusammentritt, degradieren lassen.“ Der 48jährige Arzt Klaus Gröber aus Berg am Starnberger See hat sich in Rage geredet. Doch es nützte nichts. Mit überwältigender Mehrheit folgten die Delegierten des Nürnberger CSU-Parteitages ihrer Parteiführung, beendeten die Diskussion um den umstrittenen Leitantrag des Parteivorstands zu Europa und bereiteten dem CSU-Hardliner Peter Gauweiler eine herbe Niederlage. Der wollte mit einem Gegenantrag zur Palastrevolution blasen, doch nur 18 Delegierte trauten sich gegen das Ja der CSU zu den Maastrichter-Verträgen zu stimmen. Anschließend konnte die Vorstandsriege gelassen die Kritik an der autoritären Parteitagsregie an sich abperlen lassen, um mit hartem Tobak in der Asylfrage die Delegierten wieder zu begeistern.

Völlig ungewohnt zu sonstigen CSU-Parteitagen kam in der Nürnberger Messehalle ein bislang verschüttetes Diskussionsbedürfnis der knapp 1.000 Delegierten zum Tragen. Der Münchner Parteichef und bayerische Umweltminister Peter Gauweiler war schon im Vorfeld des Parteitages aus der Linie der Parteiführung ausgeschert. Er hatte den Ecu als „Esperanto- Währung“ abgelehnt und eine Volksabstimmung zu den Maastrichter Verträgen gefordert. Per Parteitagsregie kam er dann aber nicht, wie anfangs geplant, im entsprechenden Arbeitskreis zu Wort, sondern mußte im Asyl-Arbeitskreis für die „kulturelle Identität“ der Deutschen kämpfen. Als dann bekannt wurde, daß Gauweiler dennoch im Parteitagsplenum einen Gegenantrag zum Leitantrag des Parteivorstands stellen würde, wurde die CSU- Spitze nervös.

Eiligst verschärfte man den eigenen Leitantrag in Nuancen. Man rückte die „nationale Identität“ der Deutschen pointierter in den Vordergrund, erteilte dem Konzept eines „europäischen Bundesstaates“ eine eindeutigere Absage und forderte die „Durchsetzung der deutschen Sprache als Arbeitssprache in der EG“ – alles verbunden mit einem Ja zu Maastricht. Doch Gauweiler hielt an seinem Antrag fest. Maastricht dürfe „kein Einstieg in einen EG-Vielvölkerstaat“ sein, und die Deutsche Mark müsse „das Jahr 2000 erleben“. Die Felle schienen der CSU-Spitze schon davonzuschwimmen, da kam der rettende Antrag auf Schluß der Debatte. Schnell durfte noch Parteichef Theo Waigel in die Bütt, um auch dem letzten Delegierten eindringlich klarzumachen, daß er kein Nein zu Maastricht akzeptiere.

Das beeindruckte die Parteitagsmehrheit. Viele derer, die vorher Gauweiler applaudiert hatten, bescherten dem CSU-Hardliner in der Abstimmung eine verheerende Schlappe. „Solche Parteitage können wir nicht mehr oft machen“, prophezeihte der Berger Ortsvereinvorsitzende Gröber. So könne man „mit der Basis nicht länger umgehen“. Einige Delegierte gratulierten ihm für sein couragiertes Auftreten. „Sie haben mir aus der Seele gesprochen“, sprachen sie Gröber den Mut zu, den sie vorher bei der Abstimmung vermissen ließen.

Nachdem der Parteitag die größte Klippe umschifft hatte, war es an der Zeit, dem „Jubelgremium“ (Gröber) auch Anlaß zum Jubeln zu geben. Zunächst durfte Bundeskanzler Helmut Kohl seiner „Freude, in dieser Zeit für Deutschland arbeiten zu dürfen“, Ausdruck geben. Mit einem „Wir haben doch allen Anlaß, auf Deutschland stolz zu sein“, heimste Theo Waigel begeisterten Applaus ein. Der ideale Zeitpunkt also, um auf das drängendste Problem der Partei einzugehen: die hohen Umfrageergebnisse für die rechtsextremen „Republikaner“. „Wir müssen die offene Auseinandersetzung mit REP und DVU führen, ohne ihre Wähler als Rechtsextremisten zu diffamieren“, betonte Waigel. Die 1994 anstehenden Wahlen könnten „nur mit einer klaren Abgrenzung am rechten Rand gewonnen“ werden. Die einstimmig angenommene Schaufenster-Erklärung gegen den Extremismus von links und rechts ist nicht nur verknüpft mit einem umfassenden Katalog zu Gesetzesverschärfungen. „Vor allem muß der massenhafte Mißbrauch des Asylrechts bald beendet werden“, lautet die Losung im Kampf gegen den Rechtsextremismus.

Schon im Asyl-Arbeitskreis am Vortag hatten die Delegierten bewiesen, wie sehr sie den Stammtischdiskurs beherrschen. Angeheizt von Bayerns Innenminister Edmund Stoiber und von Umweltminister Gauweiler, der über „Unkulturen“, „Einheitsgesicht und Einheitsmensch“ und über „multikulturellen Wahn“ schwadronierte, gerieten die Delegierten und Mandatsträger in Stimmung. „Vor lauter TBC und Aids“ werde es für „anständige Deutsche“ schwer, im Krankenhaus entsprechend behandelt zu werden, beklagte eine CSU-Frau. Mit Hinweis auf das Entstehungsjahr des Grundgesetzes meinte ein anderer: „Ich bin aus der Autobranche, da kann man ja auch nicht heute noch ein Modell von 1949 verkaufen.“ „Wo bleibt endlich die Autorität in diesem Scheißstaat“, fragte sich der Forchheimer CSU-Bundestagsabgeordnete Gerhard Scheu angesichts der seiner Meinung nach zu geringen Abschiebungsquoten. Die Bundesrepublik sei doch der „Dorfdepp der Welt“. Sollte Stoibers Vorschlag nach Umgehung des Grundgesetzes mit einem Asylsicherungsgesetz scheitern, so Scheu, „dann muß das Volk entscheiden, dann machen wir eben ein bayerisches Asylrecht“. Wie meinte doch Edmund Stoiber im Plenum: „In Bayern wäre ein Hoyerswerda oder ein Rostock, solange die CSU den Innenminister stellt, nicht möglich gewesen.“

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