Alle, alle tragen den Asylkompromiß mit

SPD-Linke und SPD-Rechte loben den Leitantrag für den Sonderparteitag: Verzicht auf ausgearbeitete Länderlisten, Rechtswegegarantie soll bleiben/ Union: „Unzureichend“  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

In der SPD herrscht wieder Einvernehmen. Der „10-Punkte-Katalog“ zur Asylfrage, den Parteichef Engholm nach Rücksprache mit Gerhard Schröder und Hans- Jochen Vogel am Wochenende der Antragskommission präsentiert hatte, findet allenthalben Zustimmung. Ob Linke oder Rechte, ob Fraktionschef oder Juso, alle finden sich in der Position wieder, mit der sich die SPD einer Änderung des Artikels 16 öffnet.

Engholm, der mit der Petersberger Wende diese Öffnung wollte, ist in einem Punkt zurückgegangen. Die in Petersberg genannte Länderliste, nach der Bewerber vom Asylverfahren ausgeschlossen werden konnte, taucht nun nicht mehr auf. Der Sachverhalt allerdings schon. „Ein deutlich beschleunigtes und verkürztes Verfahren“ sieht das SPD-Sofortprogramm für Bewerber vor, bei denen aufgrund ihres Herkunftslands die Vermutung besteht, daß ihr Antrag „offensichtlich unbegründet“ ist. Nach dem Willen der SPD wird der Verfassungssatz „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ ergänzt um einen Hinweis auf die Genfer Konvention. Die Asylentscheidungen anderer europäischer Staaten sollen künftig anerkannt sein. An der Rechtswegegarantie will die SPD festhalten. (Siehe untenstehende Dokumentation)

Beim zweiten Streitpunkt des Sofortprogramms, den künftigen UNO-Einsätzen der Bundeswehr, ist die Zustimmung zum Kompromiß nicht ganz ungeteilt. Der Vorschlag der Antragskommission sieht in Abweichung von Petersberg nur Blauhelmeinsätze vor. Deren Definition ist gegenüber dem Bremer Parteitagsbeschluß allerdings erheblich erweitert. Es heißt jedoch: „Auch der Beschluß über die Durchführung dieser friedenserhaltenden Maßnahmen in erweiterter Form bedarf der Zustimmung der am Konflikt Beteiligten.“ Der Koordinatorenkreis des linken „Frankfurter Kreises“ mochte trotzdem nicht zustimmen, weil „nicht noch einmal scheibchenweise der Bundeswehrauftrag erweitert werden sollte“, wie der Bremer Landesvorsitzende Isola meinte.

Beim Zuwanderungsthema waren die linken Koordinatoren hingegen ganz und gar zufrieden. „Der Blankoscheck für die Verhandlungen ist weg“, so Klaus Hahnzog. Der Parteivorsitzende wurde gar gelobt, weil er der Partei eine klärende Diskussion abverlangt habe. Auch bei den Seeheimern hat Engholm wieder gute Karten. Der rheinland-pfälzische Landeschef Rudolf Scharping bescheinigte Engholm, daß er die Sache vorangeboxt und selbst wieder zusammengefaßt habe. Gerhard Schröder, der zu den Kritikern der Petersberger Formulierung gehört hatte und dem bei den Seeheimern indirekt allzuviel „Prestigebedürfnis“ vorgeworfen wurde, geht davon aus, daß sich eine klare Mehrheit von Delegierten dem Antrag anschließen wird.

Oskar Lafontaine, der als Vorsitzender der Antragskommission den neuen Entwurf des Sofortprogramms vorstellte, sieht nun die Regierung am Zuge. Der Vorschlag der SPD sei bewußt nicht ganz ausformuliert, „weil es ja Verhandlungen geben soll“. Der Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Klose bemerkte in Bild dazu, daß die Fraktion die programmatischen Beschlüsse der Partei achte. Dem Parteitag müsse aber auch klar sein, „daß die Fraktion unter dem Druck steht, handeln zu müssen“.

Daß die Nagelprobe erst in den Verhandlungen kommt, wissen alle in der SPD. Und auch die Union weiß es. In ersten Reaktionen wird der Verhandlungsspielraum schon ausgetestet. Der Fraktions-Vize Gerster nannte den Leitantrag nicht von der Sache diktiert, sondern einen Versuch, „Streit auf dem SPD-Parteitag aus dem Weg zu gehen“. Er sei unzureichend. Ins gleiche Horn stieß auch der parlamentarische Geschäftsführer Rüttgers. Der SPD- Vorschlag könne insbesondere deswegen nicht so bleiben, weil die Vorstellungen zum Rechtsschutz „unausgegoren“ seien.