Der Traum ist aus, und die Scherben?

■ Kommentar: Chance für breites Bündnis gegen Rechtsradikalismus vorerst vertan

Wie schön hätte es sein können. Spät, aber nicht zu spät ist in Berlin demonstriert worden. Allein die Tatache, daß diese Demonstration stattfinden konnte, wäre schon ein Erfolg gewesen. Und zwar für diejenigen, die, über alle politischen Gräben hinweg, in der Lage waren, in einem für die Zukunft Deutschlands so wichtigen Punkt zusammenzustehen: der rechtsradikalen Gewalt entschieden entgegenzutreten. Rechtsradikalen und nationalistischen Ideologien in diesem Lande keine Chance einzuräumen. Die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Interessengruppen und politischen Parteien in Deutschland hätten zum ersten Mal gemeinsam Flagge nicht nur gegen die Rechtsextremisten, sondern gegen weit verbreitete Stimmungen in der (Wahl-)Bevölkerung gezeigt – ein einmaliges Ereignis in diesem Land. Die Bundesrepublik Deutschland wird nicht wie die Weimarer Republik vor dem Terror der Nazis in die Knie gehen, so hätte die eindeutige Botschaft lauten können. Wer mit den Ideologien der Rechtsradikalen liebäugelt, hätte sich selbst ins gesellschaftliche Abseits gesetzt.

Doch das wäre ja zu schön gewesen. Und auch die Tatsache, daß auf der Demonstration die Einheit die Vielfalt nicht hätte überdecken können. Die Steinwürfe auf Weizsäcker und Kohl jedoch, die Pfiffe gegenüber anderen RednerInnen haben diese Hoffnungen zerstört. Es erfordert wohl immer wieder einen Lernprozeß in der deutschen Linken, daß gemeinsam zu demonstrieren nicht heißen muß, mit allen Demonstrierenden in allen Fragen übereinzustimmen. Die Diskussion im Vorfeld der Demonstration deckte nicht nur zum hundertsten Male die politische Verunsicherung vieler auf, sondern vor allem auch, wie unpolitisch viele Linke trotz aller Umwälzungen der letzten Jahre geblieben sind.

Das kindische Spiel, „mit denen – gemeint sind die Staatsspitzen und die konservativen Parteien – demonstriere ich nicht“, das bei manchen in Steinwürfen mündete, ist Ausdruck eines ahistorischen Bewußtseins. Und das Steinewerfen bezeichnet die Haltung von Leuten, die nicht begreifen, daß sie das primitive Geschäft von Provokateuren betreiben. Die Forderung, menschenwürdiges Verhalten der gesamten Gesellschaft abzuverlangen, ist auch für Autonome gültig. Anstatt die Politiker beim auf dieser Demonstration gesprochenen Wort zu nehmen, um Rechtsradikalismus und Fremdenhaß zurückzudrängen, wird nur der Anlaß geschaffen, die Rechte mit der Linken wieder einmal in eins zu setzen. Ewige Litanei. Das Gerede von der Gleichwertigkeit der „Gefahr von links und rechts“ hat nun neue Nahrung gefunden. Und wer in Bonn so will, kann sich in Zukunft angesichts der provozierten Polarisierung der Demonstration hinter dieser Position verstecken.

Es ist nur zu hoffen, daß die politische Klasse mehr Substanz beweist, als man es ihr im Lager der Provokation und der Rechtsradikalen zubilligen will. Der Bundespräsident zumindest hat entgegen den Hoffnungen vieler in der CDU/CSU klargestellt, daß die Asyldebatte wieder in die Sphäre des Rationalen zu heben sei. Indem er forderte, das Asylrecht aufrechtzuerhalten und ein Einwanderungsgesetz zu schaffen, hat er die positivsten Elemente der Debatte der letzten Wochen und Monate aufgegriffen. Das wären die richtigen Signale gewesen, um der gesamtgesellschaftlichen Diskussion wieder Halt und Boden zu verleihen. Statt dessen wird nun in der Gesellschaft über die Steinwürfe diskutiert. Erich Rathfelder