Der Pionier des Vollkorns

■ Rudolf Effenberger ist gestorben / 20 Jahre Backen gegen Zivilisationskrankheiten

Der Pionier des Vollkorns

Rudolf Effenberger ist gestorben / 20 Jahre Backen gegen Zivilisationskrankheiten

35 Jahre und einen Monat lang hat Rudolf Effenberger als selbständiger Bäcker seine Brötchen in den Ofen geschoben. Mit 65, kurz nachdem er sein Geschäft an seinen Sohn vererbt hatte, ist er an Herzversagen gestorben.

In den Siebzigern war Effenberger im Steintorviertel ein Pionier der Vollkornbäckerei. „Mein Mann bekam mit 40 verschiedene Zivilisationskrankheiten“, erzählt die Witwe: „Kreislauf, Cholesterin, Zucker ...“ Kunden regten ihn an, auf Rohkostnahrung umzusteigen: kein Auszugsmehl, kein Zucker und kein gekochtes Fett. Für sich und seine Familie buk Effenberger die ersten Vollkornbrote. Sechs Laibe, die lagen unten in der Backstube, und manchmal fragte eine Kundin: Was ist das denn? Und wollte auch.

Der Bäckermeister buk seine Brote fortan nur noch mit eigens hergestelltem Sauerteig oder Hefe. Backmittel oder Halbfertigprodukte kamen ihm nicht mehr in die Backstube. Und seit die Effenbergers kein Brot aus pulverisiertem Sauerteig mehr aßen, verschwanden auch die Hautekzeme, an denen alle sechs Söhne litten.

Bäckermeister Effenberger begann, seine KundInnen zu warnen vor den krankmachenden Lebensmitteln, die sie verzehrten. Einige blieben weg, andere kamen um so lieber und wünschten sich Nußbrot oder Gebäck ohne Eier. Alle Rezepte hat das Ehepaar Effenberger selbst entwickelt und im Selbstversuch erprobt. Auch Kunden durften testen. „Am liebsten die Kinder“, erzählt die Bäckersfrau, „denn was Kinder ausspucken, schmeckt keinem“. Der Bäckermeister wurde zum Vortragsreisenden, sogar im Europaparlament ist er aufgetreten und buk und buk.

„Früher“, erzählt Irene Effenberger, „haben wir drei Zentner Pralinen am Tag hergestellt“. Die wurden aus dem Laden verbannt. Doch die Umstellung ging nicht von heute auf morgen. Bis Rudolf Effenberger seinen Laden auszugsmehl-frei und die Kleidung seiner gesamten Familie auf Naturfasern umgestellt hatte, dauerte es zehn Jahre. Ärger bekam der Vollkornbäcker mit dem Gewerbeaufsichtsamt und der Innung, die für Ausbildungsbetriebe auf Auszugsmehl beharrte. Doch den nahm er gern in Kauf. Dem Vater machte es Spaß, Außenseiter zu sein, erzählt der Sohn.

Denn Außenseiter war Rudolf Effenberger, der Vertriebene aus dem Sudetenland, seit er mit 19 Jahren, 1946, nach Bremen kam. „Seine Heimat hat er sehr geliebt“, Der Bäckermeister war Mitglied der sudetendeutschen Landsmannschaft — aber ohne Rückforderungen an Grund und Boden, sagt die Witwe. Noch mehr als seine Heimat habe ihr Mann Kinder geliebt: 20 Jahre lang war er im Vorstand des Kinderschutzbundes, unter seinen Lehrlingen waren viele ehemalige Heimkinder.

1956 machten Rudolf und Irene Effenberger sich selbständig, mit 200 Mark in der Tasche, erinnert sie sich. Fünf ihrer Söhne wurden ebenfalls Bäcker oder Konditor, nur einer, der jüngste, lernte Tischler. „Er wollte sich nicht von seinen älteren Brüdern herumkommandieren lassen“, erklärt die Mutter. Eine Effenberger Vollkornbäckerei gibt es inzwischen auch in Hamburg. Gemeinsam mit ihrem Mann zog Irene Effenberger vor Jahren aufs Land, wo sich die Familie einen alten Bauernhof kaufte und einrichtete: Mit 70 Obstbäumen drumherum, Pflanzenkläranlage für das Brauchwasser, Windrad und bio-dynamischem Gemüseanbau. „Wir haben nie viel gebraucht. Geld ist nicht alles. Gesundheit, das ist die Hauptsache. Und Fröhlichkeit.“ Diemut Roether