Verdiente Mauerspechte eingebürgert

■ Michail, Ron und Helmut jetzt Ehrenbürger Berlins/ Star der Show war Gorbatschow

Seit gestern dürfen Helmut Kohl, Ronald Reagan und Michail Gorbatschow nicht nur umsonst alle öffentlichen Verkehrsmittel des Landes Berlins benutzen, jeder von ihnen ist auch glücklicher Besitzer einer Berliner Friedensuhr im Wert von 28.000 Mark. Der Kanzler, der ehemalige US-Präsident und der ehemalige Staats- und Parteichef der ehemaligen UdSSR bekamen gestern morgen in einem feierlichen Zeremoniell im Berliner Reichstag die Ehrenbürgerschaft der jetzt ungeteilten Stadt Berlin verliehen. Alle drei haben sich nach Ansicht von Berliner Senat und Abgeordnetenhaus in besonderer Weise um die deutsche Einheit und damit auch die Wiedervereinigung der Mauerstadt verdient gemacht.

Reagan hatte schon im Juni 1987 anläßlich der 750-Jahr-Feier von Berlin in einer „historischen“ Rede seinen östlichen Kontrahenten aufgefordert: „Mister Gorbatschow, tear down this wall.“ Gorbatschow erhörte ihn gut zwei Jahre später und gab der SED- Führung den nicht minder historischen Satz auf den Weg: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Im August 1990, bei Kohls Besuch im Kaukasus, gab er sein Plazet zur deutschen Wiedervereinigung.

Und schließlich Kohl, als Kanzler der Einheit, der zu Berlin jedoch keineswegs ein so inniges Verhältnis hat, wie es in den gestrigen Reden dargestellt wurde. „Diese Stadt und ihre Menschen waren mir stets nahe“, versicherte der Kanzler gestern. Seine nahen Begegnungen waren für ihn jedoch nicht stets Quell der Freude. Am 10. November 1989, beim Anstimmen der Nationalhymne vor dem Rathaus Schöneberg, wurde Kohl gnadenlos ausgepfiffen, und auch bei der Großdemonstration in Berlin am Sonntag bekam er den Unmut vieler Berliner zu hören.

In der Feier ließ es sich der Berliner Senat nicht nehmen, auf einer Videowand einen Zusammenschnitt der Stationen der deutschen Vereinigung zu zeigen — Auftakt war, unvermeidlich, zu Beethovens Neunter Sinfonie das Feuerwerk am Brandenburger Tor in der Silvesternacht 1990. Der Star war gestern zweifellos Michail Gorbatschow, der wieder einmal erleben durfte, daß er im Ausland immer noch eine viel bessere Reputation genießt als in Rußland. Vom Regierenden Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, wurde er gepriesen als einer der großen Veränderer und Reformer in der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, und Helmut Kohl knüpfte an die alten freundschaftlichen Tage an und dankte seinem „Freund Michail“ inniglich. „Ron Reagan“, aus gesundheitlichen Gründen nicht dabei, ließ in seiner verlesenen Rede erklären, er sei stolz, ein Berliner zu sein.

Das Einheits-Triumvirat nimmt jetzt die Plätze 101 bis 104 der Berliner Ehrenbürger ein, eine Auszeichnung, die seit 1813 vergeben wird.

Im Vorfeld hatte es nicht nur zwischen den Berliner Koalitionsparteien CDU und SPD Streit um Reagan und Gorbatschow gegeben, Streit gab es auch um das historische Erbe. Seit der Teilung der Stadt hatte der Ostberliner Magistrat eine eigene Liste geführt. Aus der jetzt „bereinigten“ Liste verschwanden sowjetische Generäle, die an der Befreiung Berlins beteiligt waren, ebenso wie die Ahnherren der DDR, Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck, preußische Generäle wie Moltke, Wrangel und Hindenburg zieren sie jedoch weiterhin.

Göring, Goebbels und Hitler wurden bereits 1948 aus der Ehrenliste der Stadt getilgt. Kordula Doerfler