Restrisiko der Demokratie

■ Der ehemalige Polizeipräsident Klaus Hübner sieht keinen Anlaß, wegen der Demo-Störer härtere Gesetze zu fordern

taz: Hat die Polizei versagt?

Klaus Hübner: Was dort passiert ist, war nicht zu vermeiden. Einmal ist der Veranstalter selbst von der großen Zahl der Teilnehmer überrascht worden. Da ist jegliche Organisation schwierig. Viele Menschen und Gruppen sind doch schon frühzeitiger losgegangen, als es der Veranstalter wollte. Obwohl in den großen Menschenströmen unterschiedlichste Meinungen konkurrierten, ist dies doch friedlich verlaufen. Das ist doch eine ganz großartige Sache.

Hätte man vor der Bühne, wie bei jedem Popkonzert, einen Wurfabstand herstellen müssen?

Das ist richtig. Andererseits macht es ein ganz schlechtes Bild, eine Sicherheitszone zwischen denen da oben und denen da unten entstehen zu lassen. Bei früheren Anlässen wie 1.-Mai-Demonstrationen haben wir mit dem Veranstalter immer darüber gesprochen, daß er selbst dort vorne eine ausreichende Menge von zuverlässigen Teilnehmern aufbaut, um zu verhindern, daß Störer sich entfalten können. Das hat der Organisator wohl auch gewollt, doch war es ein Mangel, daß diese Leute im Zug mitmarschierten. So waren die Störer als erste vor Ort.

Kann man der Polizei den Vorwurf machen, sie habe die „Störer“ nicht rechtzeitig bemerkt?

Das hat sie ganz bestimmt gemerkt. Doch wie soll man diese aus einer friedlichen Menge ohne Tumult herausholen? Ein harter Einsatz hätte sofort zur Panik geführt. Das hat die Polizei abwägen müssen gegenüber der Gefahr, daß Eier geworfen werden. Eier an sich sind ja auch nicht gefährlich.

Sehen Sie wie Innensenator Heckelmann Anlaß, nun neue, schärfere Gesetze zu fordern?

Nein. Die Gesetze sind doch da, sie brauchen nur angewendet werden. Man darf sie aber nur dann anwenden, wenn auch eine Situation dafür gegeben ist. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel muß man im Auge behalten. Man darf eine gefährliche Situation nicht durch hartes Dazwischengehen noch explosiver machen. Und was ist denn passiert – doch gar nichts.

Man kann also weder von einem Versagen der Polizei sprechen, noch gibt es Anlaß, schärfere Gesetze zu fordern.

Auf gar keinen Fall. Worin sollten die denn bestehen? Etwa in der präventiven Festnahme aller, die nicht rechtzeitig auf die Bäume kommen? Das ist doch Unsinn. Außerdem haben sich die Störer ja äußerlich auch nicht als schwarzer Block zu erkennen gegeben. Für eine solche Demonstration gilt: Das Drehbuch ist das eine, daß sich die 300.000 Statisten daran halten, das andere. Ich kann doch nicht 300.000 Menschen in ein Drehbuch pressen. Das sind doch keine Statisten, die machen doch, was sie wollen – Gott sei Dank. Deswegen muß man damit rechnen, daß da Leute einsickern, die Unfug machen.

Das ist ein unvermeidliches Risiko?

Das ist das Restrisiko, wenn man eine demokratische und offene Veranstaltung machen will. Tatsächlich ist doch nichts passiert. Wenn die Politik Erschütterung zeigt, da bin ich doch froh drüber. Das war doch der Sinn dieser Demonstration. Hier sollte doch kein Friedensfest gefeiert werden, sondern politische Bewegung gezeigt werden – und bewegt sind sie doch alle davongegangen. Interview: Gerd Nowakowski