Die Würde des Lichtspiels ist...

■ Karlsruhe erklärt bayerisches Bilderverbot für Zensur

In einem am vergangenen Mittwoch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) veröffentlichten Beschluß heißt es, daß filmische Darstellungen von Gewalt gegen Zombies nicht gegen die in Artikel1 des Grundgesetzes geschützte Menschenwürde verstoßen. Damit hob das BVerfG das 1985 vom Landgericht München I verfügte bundesweite Verbot des Kultfilms „Tanz der Teufel“ von Sam Raimi wegen Verstoßes gegen das Zensurverbot auf. Ein knapp zehn Jahre währender Rechtsstreit für die Kunstfreiheit ist gewonnen.

Im Oktober 1983 erwarb der Münchner Kunstfilm-Verleih Prokino die Lizenz für die Verbreitung von „Tanz der Teufel“. Am 10. Februar 1984 startete er mit zwölf Kopien. Der ab 18 Jahren zugängliche Film erreichte ohne Werbung in drei Monaten sensationelle 160.000 Besucher. Weitere 30 Kopien wurden umsonst gezogen. Nach seiner Veröffentlichung auf Kassette durch VCL Video wurde er am 6. Juli 1984 von der Staatsanwaltschaft München wegen Verstoßes gegen Paragraph 131 StGB (Gewaltverherrlichung und -verharmlosung) bundesweit beschlagnahmt.

Schon allein das ist nach Auffassung des BVerfG verfassungswidrig, da die Freiwillige Selbstkontrolle in Wiesbaden (FSK) „Tanz der Teufel“ ein halbes Jahr zuvor am 25.11. 1983 die Unbedenklichkeit gegenüber besagtem Paragraphen 131 bescheinigt hatte. Das Urteil verstößt insofern gegen das Bestimmtheitsgebot in Artikel 103, wonach nur das bestraft werden kann, was strafbar ist. Der Tatbestand ist nach Meinung der FSK deswegen nicht erfüllt, weil sich die Gewalt im Film nicht gegen Menschen richte: „Das äußere Erscheinungsbild der von der bösen Naturmacht okkupierten Menschen ist so sehr gespenstischen Fabelwesen nachgebildet, daß ein Vergleich dieser Kreaturen mit menschlichen Wesen als Lästerung des Menschengeschlechts empfunden würde.“

Nicht zum ersten Mal wird ein moderner Horrorfilm bundesweit verboten. Neu ist jedoch, daß betroffene Verleiher Widerspruch einlegen. Prokino und VCL-Video schließen sich vor Gericht der FSK-Ansicht an, daß die im Film gezeigten Gewalttätigkeiten nicht gegen Menschen gerichtet seien. In der zweiten Instanz heißt es jedoch am 7.10. 1985 im Namen des Volkes: „Das Verbot der Darstellung grausamer Gewalttätigkeiten gegen Menschen kann nicht dadurch umgangen werden, daß die Menschen als ,Besessene‘ oder etwa nur noch als menschenähnliche Ungeheuer dargestellt werden. Nach dem Willen des Gesetzgebers (Bundestagsdrucksache 10/2546 Seite 22) sollen unter dem Begriff Menschen auch menschenähnliche Wesen verstanden werden, wie sie in den Videofilmen als Zombies vorkommen.“

Der Streit um die Definition, ob die agierenden Protagonisten Menschen sind oder nicht, hat den Hintergrund, daß das im Artikel 5 des Grundgesetzes erlassene Zensurverbot nur dann hintergangen werden kann, wenn ein noch höherwertiges Rechtsgut als die Freiheit der Kunst gefährdet ist. Die Auswahl ist da nicht mehr groß. Die Münchner Justiz hat sich daher auf die in Artikel 1 geschützte Würde des Menschen eingeschossen: Im Namen des Volkes „treten nicht etwa vier Personen ab, die anschließend durch vier neue Gestalten ersetzt werden. Für die an der Handlung Beteiligten (und für den Zuschauer) besteht kein Zweifel, daß die agierenden menschlichen Körper (...) nach wie vor den zu Beginn vorgestellten Menschen zuzuordnen sind.“ Das Beharren der Münchner Justiz auf eine rein äußerliche Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Menschen und Latexpuppen in B-Movies bliebe ein Schildbürgerstreich. Denn nach Auffassung des BVerfG bezieht sich die in Artikel 1 geschützte Würde auf den „biologischen Begriff des Menschen“ und nicht die kinematographische Vorführung eines künstlerisch verfremdeten Abbildes. Wörtlich heißt es: „Wenn der Gesetzgeber die filmische Darstellung von Gewalt gegen (...) Zombies hätte unter Strafe stellen wollen, hätte er dies im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck bringen müssen.“

Zweck dieser ominösen Gleichstellung von Menschen und Zombies durch die Münchner ist das Hinwegzaubern des Unterschieds zwischen Fiktion und Realität: Indem im Münchner Standardurteil Zombies als Menschen definiert werden und gleichzeitig die Frage der Unterscheidung zwischen Menschen und Bildern vom Menschen ignoriert wird, erschleicht sich die Justiz – nicht nur im Fall „Tanz der Teufel“ – die Befugnis, trotz des Zensurverbots Filme zu zensieren.

Der Karlsruher Club der roten Richter hat diese Praxis nun als Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot eines Tatbestands (Art. 103) bezeichnet, weil „die Gerichte von einem unzulässig weiten Verständnis der Strafvorschrift ausgegangen sind“. Doch das BVerfG zieht die Münchner Justizpraxis nicht generell in Zweifel. Indem das BVerfG nur die filmimmanente Unterscheidung zwischen Menschen und Zombies im Fall „Tanz der Teufel“ bekräftigt, weicht es der generellen Problematik aus: Was der Justiz mit Vorliebe regelmäßig entgeht, ist, daß ein drastischer Film kommentarhaft auf den zynischen Gewaltpopulismus etwa der Stallone-Filme aufmerksam macht – indem explizit gemacht wird, was bei „Rambo“ nur implizit bleibt. In einer Mediengesellschaft ist es nicht mehr statthaft, wenn Gerichte einen Film nur noch nach ihrem Bildwert beurteilen und nicht nach dem Zeichenwert, seiner kontexthaften Verweisstruktur. Selbstzweckhaftigkeit von Gewalt ist in einem Genre von vorneherein ausgeschlossen.

Die dem BVerfG-Urteil zugrunde liegende liberale Geste ist dennoch begrüßenswert. Spätestens im Februar kommt – zum Ärgernis des Clubs der schwarzen Richter – eine gekürzte Fassung des Films mit acht Jahren Verspätung in die Kinos. Manfred Riepe