Die Ökonomie des Schenkens

■ Genevieve Vaughan aus Texas – Millionärin und Feministin

Malta (taz) – Sie ist eine Millionenerbin aus den USA und verschenkt all ihr Vermögen. She must be really crazy. Sie muß plemplem sein. Vielleicht ist sie das ja, aber auf die beste Art: Wer der 53jährigen feministischen Wirtschaftsphilosophin und Mutter dreier Töchter begegnet, kann kaum anders, als ihrer unkomplizierten Herzlichkeit erliegen.

Kein Wunder, daß die von Genevieve Vaughan begründete Stiftung für Frauenprojekte solch einen gefühlvollen Namen trägt: „Foundation for a Compassionate Society and Change of Heart“. Ins Deutsche ist er allerdings kaum übersetzbar – Stiftung für eine Gesellschaft des Mitfühlens und des Herzenswechsels klingt arg nach Organtransplantation. „Gene“, wie sie von ihren Freundinnen genannt wird, war vor einiger Zeit in Malta anzutreffen, wo sie finanziell und politisch mithalf, die „Frauenorganisation der Mittelmeerregion“ zu gründen.

„Ich stamme aus Texas, aus der besitzenden Klasse im reichsten Land der Welt“, stellte sie sich dort Ende September den rund vierzig Vertreterinnen arabischer und europäischer Frauenorganisationen vor. „Ich hatte meine eigenen Werte zu finden, die es mir ermöglichten, die meiner Klasse zurückzuweisen. Und ich fand die weiblichen Werte, die mich mit meinen Schwestern verbinden.“

In der heutigen Welt, befand sie, gäbe es zwei grundlegende ökonomische Paradigmen, die sich widersprächen, aber auch ergänzten. Das eine sei sichtbar, das andere unsichtbar, das eine hochbewertet, das andere unterbewertet. Das erste sei der Austausch, der eng mit Männern und mit dem Kapitalismus verbunden sei. Das zweite sei das freie Geben, das Frauen weltweit gegenüber ihren Kindern praktizierten. „Wenn alle geben, wird der Austausch überflüssig“, meinte Gene.

Netzwerk der Solidarität

Diesen Grundgedanken ihrer „Ökonomie des Schenkens“ hat sie inzwischen in einem Buch weiterentwickelt. Es dürfte nicht allzu schwer sein, sie als Idealistin zu entlarven, die die Mutterschaft altruistisch verklärt. Die Originalität ihrer feministischen Kritik an Kapitalismus und Warentausch, den schon Marx als Wurzel allen Übels ausmachte, aber mit seinem grobklotzigen Konzept nicht ausrotten konnte, mildert das jedoch keineswegs. Das Paradigma des Tausches bricht ohne eine ständige künstliche Verknappung der Ressourcen in sich zusammen, so glaubt sie, und muß deshalb durch permanente Aufrüstung und andere Arten von Ressourcenvernichtung gestützt werden. Die vollkommen ver-rückte Folge: „Jedes Jahr gibt die Welt 1.000 Milliarden Dollar für Rüstung aus, dabei würden schon 17 Milliarden ausreichen, um jeden Menschen auf der Welt zu ernähren“, beklagte sie in Malta.

Die frischgegründete „Womens Association of the Mediterranian Region“ mit Hauptsitz in Malta will deshalb unter anderem für die Entmilitarisierung und Entnuklearisierung des Mittelmeers und seiner 18 Anrainerstaaten kämpfen. Den Frauen aus Tunesien, Ägypten, Israel, Palästina, Zypern, Italien und Malta schwebt der Aufbau eines Netzwerkes der Solidarität vor, über das sie sich gegenseitig alarmieren können, wenn hier ein Atomschiff festmacht oder dort ein frauendiskriminierendes Gesetz erlassen wird. Das allerdings funktioniere nur, so die neugewählte Präsidentin Yana Mintoff, wenn die Organisation auf ihrer Regierungsunabhängigkeit beharre und sämtliche finanziellen und ideologischen Beeinflussungsversuche, wie von seiten der libyschen Botschaft mehrfach geschehen, strikt zurückweise. Kleine Ironie der Geschichte: Yana Mintoff ist die Tochter jenes inzwischen abgewählten sozialistischen Ministerpräsidenten, der den Inselstaat Malta in den 70er Jahren auf einen blockfreien, aber auch prolibyschen Kurs brachte. Gleichzeitig jedoch ist die 40jährige Doktorin, die inzwischen in den USA lebt, eine enge Freundin und Mitarbeiterin von Genevieve Vaughan.

Kunsthandwerk für Frauenprojekte

Umgekehrt hat Gene lange in Europa gelebt, von 1963 bis 1983 in Italien. Dort, sagt sie, sei ihr politisches Bewußtsein erwacht und ihr Bedürfnis, in und für die internationale Frauenbewegung zu arbeiten. Ihre 1986 in Texas gegründete Stiftung hat inzwischen nicht nur in Italien Ableger, sondern auch in Chile, Costa Rica und Deutschland. Unter anderem in Form der Frauenläden „Four Directions“ – den deutschen in Oberhausen leitet die langjährige Friedensaktivistin Ellen Diederich –, in denen die Ökonomie des Schenkens durchaus sinnig mit der Geldwirtschaft kombiniert wird. Kunsthandwerk der schönsten Art, von Frauen in allen Ecken der Welt hergestellt und direkt bei den Produzentinnen erstanden, ist dort zu kaufen; die Käuferin kann auf einer Liste ankreuzen, welches politische Frauenprojekt in welcher Himmelsrichtung der Welt sie vom Erlös unterstützen will.

In Costa Rica finanziert die Stiftung das Radioprogramm F.I.R.E. – „Feminist International Radio Endeavour“, das im „Radio for Peace International“ täglich zwei Stunden in englisch und spanisch sendet und, weil auf Kurzwelle, weltweit empfangen werden kann. Ihr zweites Medienprojekt ist das wöchentliche Fernsehprogramm „Let the people speak“, das in mehreren US-Städten zu sehen ist. Die von keinem tumben Moderator zerstükkelten Reden engagierter Frauen – zum Beispiel auf der UN-Umweltkonferenz in Rio – können auch als Videokassetten bestellt werden.

Das Programm wird in Austin, Texas, koordiniert, im Stammsitz der Stiftung. Dort hat Gene ihre Erbschaft unter anderem in das „Grassroot Peace Organizations Building“ gesteckt, in dem elf verschiedene Frauen- und Umweltorganisationen hausen, oder in das Zentrum „Alma de Mujer“, in dem internationale Frauenfriedensgruppen sich in einem Öko-Garten erholen oder Aktionen gegen 500 Jahre Kolonialismus in Lateinamerika vorbereiten. All das, davon ist Genevieve Vaughan fest überzeugt, ist Teil eines weiblichen Gegenmodells in einer männlich bestimmten Welt, also eine „gelebte Utopie“, die „Verbindungen des Vertrauens und der Gemeinschaft über die normalen Grenzen von Rasse, Klasse und Kultur hinweg“ kreiert.

Inzwischen hat Gene, von Malta zurückkehrend, wohl schon ihre bislang letzte Großtat im Rahmen der „Ökonomie des Schenkens“ vollbracht: den Kauf von 202 acre Land in Nevada, um es den Shoshoni-Indianern zurückzugeben. „Das steht ihnen zu“, sagt sie in ihrer bescheidenen Art, „sie waren schließlich die früheren Besitzer, die wir vertrieben haben.“ Ute Scheub