Mythos, Beton geworden

■ Die Nazis mochten es nicht: Atlantis, ein deutsches aus in der Böttcherstraße

Mythos, Beton geworden

Die Nazis mochten es trotzdem nicht: Atlantis, ein deutsches Haus in der Böttcherstraße

Atlantis: sagenumwobenes Eiland, dem Untergang geweiht. Kein Ort, ein Mythos. Wer von der idealen Gesellschaft träumte, siedelte sie in Atlantis an. Wer der Welt weismachen wollte, die nordischen Völker hätten ihr die Kultur gebracht, erst recht. Das nordische Atlantis: Wiege des Heils. Völkisch schwallten die Atlantis- Mythologen in den Zwanzigern dieses Jahrhunderts von der Reinheit der atlantischen Rasse, ihren „gesunden Instinkten“ und dem „Willen zu Besitz und Macht“.

Das ist der Geist, aus dem das Haus „Atlantis“ in der Böttcherstraße entstanden ist, schreibt Arn Strohmeyer in seinem Buch „Der gebaute Mythos“. Drei Väter hat — laut Strohmeyer — die Kopfgeburt „Atlantis“: Den Künstler Bernhard Hoetger, seinen Mäzen Ludwig Roselius und den völkischen Ideologen und Pan-Germanisten Herman Wirth. „Das Haus Atlantis führt zur Urgeschichte der Menschheit zurück“, verkündete Bauherr Ludwig Roselius seinerzeit zur Eröffnung.

Doch um Hoetgers Sakralbau Atlantis, um seinen Tempel des Nordischen entbrannte ein urdeutscher Streit, dessen Geschichte Autor Arn Strohmeyer aufgerollt hat: So deutsch die väterliche Dreieinigkeit des Hauses dachte, so verklärend sie den Führer verehrte, Hitler selbst hatte mit dieser „Böttcherstraßen-Kultur“, wie er sie in seiner Rede auf dem Reichsparteitag in Nürnberg 1936 nannte, nichts am Hut. Im Frühjahr 1937 ließ des Führers Architekt Albert Speer die Böttcherstraße als Lehrbeispiel für entartete Kunst unter Denkmalschutz stellen. Bauherr Roselius ließ mittels roter Handzettel die Besucher der Straße wissen, daß der Lebensbaum vor dem Haus Atlantis „keinesfalls der heutigen nationalsozialistischen Kunstanschauung“ entspreche.

Hoetger hatte am Hauseingang den nordischen Christus mitten in einem Jahresrad, einem Symbol der Wirthschen Lehre, ans Kreuz genagelt. Kein nordischer, strahlender Held hing da am Kreuz, sondern eine Figur, die ein Zeitgenosse, der Schriftsteller Rudolf Alexander Schröder, als „Alraune“ und „hängendes Mißgeschöpf“ beschrieb. „Ein deutsches Mißverständnis“, urteilt Strohmeyer über den Streit um Haus und Böttcherstraße: „Für weltfremde völkische Spinner und rassistische Utopisten war - so komisch das klingt — in der NSDAP kein Platz.“

Heute ist der Himmelssaal, gewissermaßen der Altarraum des nordischen Tempels, noch einmal die Woche zu besichtigen. Und bildet im übrigen den passenden Rahmen für Buchvorstellungen und andere festliche Gelegenheiten. Heute kann sich der Streit um das Haus Atlantis allenfalls noch an den Personen Hoetger oder Roselius entzünden, deren (gern unterschlagene) Sympathie für die Nationalsozialisten Arn Strohmeyer anhand von Zitaten leicht belegen kann.

Den (vorläufigen) ironischen Schlußpunkt hat jedoch — wie könnte es anders sein — das Leben selbst gesetzt, als sich die nordische Hotelkette Scandic Crown in Hoetgers Sakralbau einnistete. Diemut Roether

Arn Strohmeyer, Der gebaute Mythos. Donat Verlag, Bremen, 16,80 Mark