„Dieser Prozeß ist eine Farce“

■ Die taz befragte AuslandskorrespondentInnen in Berlin zum heutigen Beginn des Prozesses gegen Erich Honecker

Rebecca Lieb, Variety ,

New York:

Es wird schwierig sein zu bewerten, ob das, was Honecker gemacht hat, nach den DDR-Gesetzen illegal war. Es könnte vollkommen legal gewesen sein. Die Frage der Menschenrechte ist allerdings eine andere. Sein hohes Alter, seine Gesundheit dürfen keine Rolle spielen – wie bei den Prozessen gegen die alten Nazis, die man etwa in Argentinien aufgestöbert hat.

Ylva Wächter, TV4, Schweden:

Ich denke, für die Aufarbeitung der Geschichte ist dieser Prozeß sehr wichtig. Es geht um Gerechtigkeit, Honecker muß mit seinen Opfern konfrontiert werden. Was die Frage seiner Krankheit angeht: Das ist ein Problem. Aber es gab in den DDR-Gefängnissen auch alte und kranke Menschen. Darauf hat man unter diesem Regime auch keine Rücksicht genommen. Ich glaube nicht daran, daß es zur einer Verurteilung, zu einer Gefängnisstrafe kommt. Aber der Prozeß ist wichtiger als das Urteil.

Eva Forinyak, freie Korrespondentin, Ungarn:

Aus humanitären Gründen sollte man ihn zu seiner Tochter aus erster Ehe in Ostberlin ziehen lassen. Honecker kann man durch diesen Prozeß nicht bestrafen. Er will auspacken und als Sieger, als Märtyrer diesen Prozeß verlassen. Honecker ist überzeugter Kommunist und fühlt sich nicht schuldig: In dem Sinne denkt er, daß die Leute, die man jetzt Opfer nennt, nicht seine Opfer sind, sondern Opfer der Geschichte. Seine Befehlsgeber saßen in Moskau. Honecker hätte zwar nicht machen sollen, was er gemacht hat, und ich verurteile das – doch ich betrachte ihn ebensowenig als Mörder denn als Heiligen. Er ist eine tragische historische Figur, und über seine persönliche Haftung bin ich mir nicht so sicher.

Michael Kallenbach,

Voice Of America:

Den Mauerschützen, die auf Befehl gehandelt haben, wurde auch der Prozeß gemacht. Insofern finde ich richtig, daß jetzt Honecker vor Gericht steht. Auch wenn es um seine Gesundheit schlecht steht, muß der Prozeß gemacht werden, weil er im guten Sinn ein „Show“-Prozeß sein kann.

Karen Nickel, The Nation ,

New York:

Natürlich wäre alles einfacher gewesen, wenn man ihn in Moskau gelassen hätte. Insofern verstehe ich nicht, warum die Bundesregierung darauf bestanden hat, ihn nach Deutschland zu bekommen. Honeckers hohes Alter und seine Gesundheit sollten bei dem Prozeß keine Rolle spielen. So wie bei den Prozessen gegen die alten Nazis: Gerechtigkeit soll sein. Der Prozeß gegen die Grenzsoldaten war lächerlich. Es sieht nach Siegerjustiz aus, aber Honecker muß irgendwie verantwortlich gemacht werden.

Bernard Bridel, 24 Heures , Schweiz:

Der Prozeß ist geschmacklos, ein Unsinn, eine Farce. Die Verteidigung hat recht, wenn sie sagt, man kann die Geschichte nicht durch so einen Prozeß beurteilen. Es wird in Deutschland viel Wert auf „Rechtsstaatlichkeit“ gelegt – dies ist ein typischer politischer Prozeß. Es kann nur zu Enttäuschungen kommen, denn juristisch ist es sehr kompliziert, die persönliche Verantwortung von Honecker nachzuweisen. Spannend könnte es dann werden, wenn Gorbatschow und Kohl als Zeugen kommen müßten oder wenn Honecker auspackt. Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob die Ostdeutschen, die viele andere Probleme haben, den Prozeß noch so dringend wollen. Klar ist der Willen der Regierung, ein Exempel zu statuieren. So etwas wie ein „Russell-Tribunal“ wäre zur Vergangenheitsaufarbeitung besser.

Ingerlise K. Andersen, Arhus Stiftstidende , Dänemark:

Die Situation ist am Kippen. Bis vor kurzem gab es unter den früheren DDR-Bürgern einen Bedarf, den Prozeß gegen Honecker zu führen. Ich denke, daß jetzt viele meinen: Was soll das? Er wird ja sowieso niemals eine Bestrafung erleben. Der Prozeß wird eher die Unfähigkeit des Rechtssystems beweisen, mit solchen Sachen fertig zu werden. Ich glaube auch nicht, daß es eine großartige Aufklärung geben wird – etwa über die westdeutsche Rolle. Ich befürchte eher, daß man sagen wird: Wir haben es ja mit der Vergangenheitsbewältigung versucht, aber er ist leider gestorben.

Stephen Kinzer, The New York Times , New York:

Ich habe jahrelang in Lateinamerika gearbeitet; viele Länder dort mußten sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Es geht doch immer um die moralische Frage: Wenn es soviel Unrecht gab, kann es sein, daß niemand dafür verantwortlich ist? Tragisch ist, daß es für die Opfer der Diktatur keine wirkliche Kompensation für das geben kann, was ihnen genommen wurde. Es gibt keine Gerechtigkeit für diese Leute, und das ist schade. Verantwortlichkeit ist in einem Fall wie diesem eine moralische, eine philosophische Frage. Wer soll richten? Erst habe ich darüber geschimpft, daß es wohl gar keinen Mauer-Prozeß geben würde. Dann gab es das Verfahren gegen die Grenzschützer, und ich habe gefragt: Was ist mit dem ganzen Apparat? Dann kam der Mielke-Prozeß und die Frage: Was ist mit Honecker? Nun muß ich weiterfragen: Wer hat mit Honecker auf seine Gesundheit getrunken? Ich verstehe den Impuls der DDR- Bürger, ihn vor Gericht sehen zu wollen. Doch ich halte für unmöglich, daß es hier vor einem Gericht Gerechtigkeit geben kann.

Clive Freeman, Time Magazine , New York:

Etwas peinlich ist das schon: ein Prozeß gegen diesen alten Mann von 80 Jahren, der in Bonn vorher mit Fanfaren empfangen worden war. Andererseits: Wenn man bedenkt, wie viele Leben zerstört wurden wegen dieser Grenze, dann ist der Prozeß verständlich. Würde man Honecker nicht vor Gericht stellen, dann hieße es: Die Großen läßt man laufen... Andererseits darf es auch nicht nur nach Rache aussehen. Die Klage ist eine sehr eingeschränkte, und es ist offensichtlich, daß man die Regierung nicht in Schwierigkeiten bringen will; da ist die Sache mit Strauß und den Krediten. kotte/sev