■ Zum ungarisch-slowakischen Konflikt an der Donau
: Noch sind die Auen nicht verloren

Auf den ersten Blick erscheint alles ganz einfach. Die slowakische Regierung beschließt die Flutung des Donaukanals bei Gabcikovo, nationalistische wirtschaftliche Interessen – die Unabhängigkeit von Kohlelieferungen aus der Tschechischen Republik – bilden die Entscheidungsgrundlage, die slowakischen Umweltschützer hatten gegen die altkommunistischen Technokraten der staatlichen Bauunternehmen keine Chance. Doch schon der zweite Blick zeigt, daß es für den drohenden internationalen Konflikt an der Donau nicht nur einen Schuldigen gibt: Ungarn kündigte ohne vorhergehende Konsultationen mit der Slowakei einseitig den Vertrag über die Errichtung des Gemeinschaftsprojektes, die Regierung in Budapest ist nicht bereit, über die von der slowakischen Regierung vorgeschlagene „Minimalisierung“ der ökologischen Folgen des Projektes auch nur zu verhandeln. Für sie gibt es nur eine Lösung: Gabcikovo muß abgerissen werden.

Die Verantwortung für den Konflikt an der Donau tragen aber auch die ungarischen Umweltschützer. Da die ungarische Regierung sich ihr Anliegen, die Verhinderung des Baus, zu eigen machte, haben diese sie bisher nahezu vorbehaltlos unterstützt. Übersehen wurde dabei freilich, daß es Budapest schon lange nicht mehr allein um den Schutz der Umwelt ging. Statt dessen trat der „Schutz der Ungarn in der Slowakei“ in den Vordergrund, der nationalen Minderheit – deren Unterdrückung durch die slowakische Regierung Budapest sicher zu Recht anprangert – sollte „jetzt nicht auch noch das Trinkwasser weggenommen werden“.

Der dritte Blick schließlich lenkt die Kritik auf die tschechoslowakische Bundesregierung, auf den inzwischen zurückgetretenen Staatspräsidenten Václav Havel. Denn während der Dramatiker in den Jahren der Opposition immer wieder die Zerstörung der Umwelt angeprangert und die von ihm geführte Menschenrechtsbewegung Charta 77 den Bau Gabcikovos verurteilt hatte, war er nach der politischen Wende des Novembers 1989 nicht mehr bereit, sich offensiv gegen die Fertigstellung des Staustufensystems einzusetzen. Wichtiger war nun der Erhalt des gemeinsamen Staates, Gabcikovo sollte nicht zu einem weiteren tschecho-slowakischen Konflitkherd werden. Und auch als die Auflösung der ČSFR zum Ende dieses Jahres bereits feststand, wollte Prag nicht in einen sich anbahnenden slowakisch-ungarischen Konflikt gezogen werden. Obwohl die tschechoslowakische Bundesregierung formell immer noch über das Staustufenprojekt entscheiden könnte, hält sie sich nun zurück.

Die „letzte Rettung“ für die Donauauen könnte dennoch allein in einer „konzertierten“ Aktion der slowakischen, tschechischen und ungarischen Umweltschützer, einem gemeinsamen Vorgehen der früheren Menschenrechtsbewegung der beiden Staaten liegen. Dabei müßten die Mitglieder des ungarischen „Grünen Kreises“ angesichts der nationalistischen Ausfälle ihrer Regierung die jahrelang geltende Formel, daß „der Kampf für die Demokratie auch ein Kampf gegen Gabcikovo war“, aufgeben; von dem Zwang zu diplomatischen Schachzügen befreit, könnte sich auch die ehemalige tschechoslowakische Opposition um Václav Havel nach ihrem Machtverlust ihren früheren Zielen zuwenden. Da auch Ökologen der Ansicht sind, daß selbst durch einen Abriß der kilometerlangen Betonmauern der ursprüngliche Zustand nicht wieder hergestellt werden kann, haben sie bereits vor Monaten Vorschläge für eine „Minimalvariante Gabcikovo“ entwickelt. Durch sie könnten auch die „minimalen“ Interessen der slowakischen und der ungarischen Regierung befriedigt werden. Sabine Herre