Bosnier glauben nicht an die Waffenruhe

■ Anscheinend will serbische Führung nach den Eroberungen Ruhe an den Fronten

Sarajevo/Zagreb (AP/dpa) – Nach knapp sieben Monaten Bürgerkrieg richteten sich gestern in Bosnien sämtliche Hoffnungen auf den ersten offiziellen Waffenstillstand. Dieses hochgesteckte Ziel hatten Vertreter des bosnischen, kroatischen und serbischen Militärs mit ihren Unterschriften unter den ersten allumfassenden und bedingungslosen Waffenstillstand bekräftigt, den sie unter Vermittlung der UNO-Friedenstruppen in Sarajevo ausgehandelt hatten. Zuvor hatte es nur eine Vielzahl von Separat-Feuerpausen für vereinzelte Kampfzonen gegeben, die kaum länger andauerten als die für eine gründliche Waffenreinigung benötigte Zeitspanne.

Doch die Erwartungen der bosnischen Zivilbevölkerung wie auch internationaler Politiker an den beschlossenen Waffenstillstand blieben am Mittwoch vorerst gedämpft. Selbst die beiden Vorsitzenden der Genfer Jugoslawien- Konferenz, Cyrus Vance und Lord Owen, beschränkten sich zunächst auf die Standardformulierung, daß sie den Waffenstillstand begrüßten. Beobachter vermuten, daß die serbische Militärführung den Terrraingewinn nach den Eroberungen der letzten Monate absichern will.

Gestern jedenfalls wurde weiter geschossen. Der bosnische Rundfunk meldete schweren Beschuß von Gradacac, Tuzla, Olovo, Zavidovici, Brcko, Gracanica, Mostar und Capljiana in der Nacht zu Mittwoch durch serbische Batterien. Das ostbosnische Srebrenica an der serbischen Grenze sei von zwei Agrarflugzeugen angegriffen worden.

Die bosnische Militärführung setzte unterdessen die Massenevakuierung aus Sarajevo für unbestimmte Zeit aus. Oberbefehlshaber Sefer Halilovic erklärte, der Transport von über 1.000 Moslems und Kroaten sei von Serben aufgehalten und zu Erpressungen benutzt worden.

Beweise für Säuberungspolitik

Frankreich hat den Vereinten Nationen Beweise für die systematische serbische Säuberungspolitik in Bosnien-Herzegowina vorgelegt. Die Vernichtung und Vertreibung von Moslems in Bosnien folge einem System, schrieb der französische UN-Botschafter Jean-Bernard Merimee in einem Bericht, der am Dienstag in New York veröffentlicht wurde. Dörfer würden in der Regel zunächst besetzt und zerstört. Ferner werde ein Teil der Bewohner hingerichtet. Dann würden zahlreiche Einwohner in Lager gebracht, wo sie Mißhandlungen und sehr harten Haftbedingungen ausgesetzt seien. Die einflußreichsten Dorfbewohner würden getötet. Andere würden freigelassen oder ausgetauscht, wenn sie bereit seien, ihr Hab und Gut zurückzulassen und zu versprechen, nicht mehr in ihr Dorf zurückzukehren. Im Mai wurden die Ortschaften Kosterjevo und Zaklopaca zerstört und insgesamt 120 Bewohner, darunter Frauen und Kleinkinder, getötet. Während der Besetzung von Kotor Varos im Juni wurden nach Angaben von Dorfbewohnern, die die Opfer begraben mußten, 500 Menschen exekutiert. In Kozarac seien 700 Menschen von serbischen Kommandos getötet worden.