Ein jovialer Chef

■ Episoden aus der Rechtswirklichkeit: Ohrfeige vor Gericht

: Ohrfeige vor Gericht

Herr H. ist ein jovialer älterer Herr, Mitinhaber und Geschäftsführer einer Firma. Er ist 71 Jahre alt. Das sagt er allen, die mit ihm zu tun bekommen — damit sie wissen, wie rüstig er geblieben ist.

Herr H. schätzt attraktive und charmante Mitarbeiterinnen. So sehr, daß er fast jedes Jahr eine neue persönliche Sekretärin bei akzeptablem Gehalt einstellt. Auch Frau T. war darunter. Sie hatte ein halbes Jahr lang versucht, in die vermutlich etwas eigenartige Arbeitsweise von Herrn H. Ordnung und Transparenz zu bringen. Für ihn war sie damit wohl die Rettung vor dem büromäßigen Untergang. Sie selbst fand aber nicht die wahre Befriedigung, war sie doch mit dem Versprechen eingestellt worden, eine verantwortungsvolle Tätigkeit zu übernehmen. So sah sie sich nach einer neuen Stelle um. Davon informierte sie Herrn H.

Der nahtlose Wechsel des Arbeitsplatzes ist wegen der Einstellungs- und Kündigungsfristen immer wieder ein Problem. So auch in diesem Fall. Frau T. fand eine neue Stelle und vereinbarte mit Herrn H. eine vorzeitige Auflösung ihres Vertrags. Sie dürfe aber nur gehen, wenn er rechtzeitig eine Ersatzkraft für Frau T. finde, war die Bedingung. Er fand sie. Die Neue wollte allerdings vor Arbeitsantritt noch eine zweiwöchige Urlaubsreise unternehmen. Das war noch sieben Wochen hin. Genug Zeit für die Einarbeitung und für zwei Wochen Resturlaub.

Aber Frau T. wurde krank, konnte ihre Nachfolgerin nicht einarbeiten. Trotzdem bot sie ihrem Chef an, auf ihren Urlaub zu verzichten. Der verlangte statt dessen Nacharbeit, sie sollte sechs Tage

1lang die Nachfolgerin betreuen. Das war Frau T. aber jetzt nicht mehr möglich — wegen der neuen Stelle. Ihr Angebot, ein oder zwei Wochenenden dranzuhängen, vielleicht noch ein paar Feierabende, empfand der Chef als ungenügend.

Herr H. sah einen Vertragsbruch und kürzte das letzte Gehalt von Frau T. um tausend Mark netto. Er fand, ihm sei immenser Schaden durch das verantwortungslose Verhalten seiner Assistentin entstanden.

Frau T. ging vor das Arbeitsgericht.

Dort hätte sie beweisen müssen, daß Herr H. ihr verbindlich zugesagt hatte, sie vor Ablauf der Kündigungsfrist aus ihrem Vertrag zu entlassen. Und Herr H. hätte vorrechnen müssen, welcher Schaden ihm entstanden ist. Angesichts der Prozeßlage schien beiden Parteien der vom Richter vorgeschlagene Vergleich auf Zahlung von 700 Mark angemessen.

Der Vergleich wurde ins Protokoll aufgenommen, die Parteien sollten sich zum Zeichen der Einigung noch einmal die Hand geben. Herr H. ging auf Frau T. zu, streckte die rechte Hand aus — und gab ihr mit der Linken eine klatschende Backpfeife. Er erklärte, dies sei eine freundschaftliche Geste. Daß Frau T. den Schlag ins Gesicht als öffentliche Demütigung empfand, mochte H. nicht einsehen.

Frau T. hatte aber kein Verlangen, sich mit diesem jovialen Herrn noch einmal vor einem Richter zu treffen, wg. Schmerzensgeld für Körperverletzung und Beleidigung. Schade. justus