: Noch mehr Leukämiefälle
■ Auch rund um die Reaktoren Brokdorf und Brunsbüttel sind Kinder an Blutkrebs gestorben / Verdacht des Zusammenhangs mit Radioaktivität erhärtet sich
sind Kinder an Blutkrebs
gestorben / Verdacht des Zusammenhangs
mit Radioaktivität erhärtet sich
Im schleswig-holsteinischen Landkreis Steinburg sind von 1981 bis 1989 vier Kinder und Jugendliche an Leukämie gestorben. Das ergibt sich aus einer Doktorarbeit, die zur Zeit von einer Studentin der Universität Kiel, betreut vom Toxikologen Otmar Wassermann, erstellt wird.
Im Kreis Steinburg steht das Atomkraftwerk Brokdorf, das 1986 ans Netz gegangen ist; im Nachbarkreis Dithmarschen, direkt an der Grenze zwischen beiden Landkreisen, ist das Akw Brunsbüttel seit 1976 in Betrieb.
Für die Promotionsarbeit wurden 10000 Todesbescheinigungen geprüft. Aus ihnen ergab sich, daß im Kreis Steinburg 1989 ein 15jähriges Mädchen, 1987 ein 16 Jahre alter Junge, 1986 ein 13jähriger und 1981 ein Vierjähriger an Leukämie bezeihungsweise einer der leukämieähnlichen Erkrankung, der Histocytose, gestorben sind. Die Kinder lebten in Wevelsfleet, Glückstadt und Herzborn. „Mit der Doktorarbeit wollten wir gar nicht auf Leukämie und Atomkraft hinaus, sondern ein Krebsregister für Schleswig-Holstein anschieben. Nur auf der Basis eines soliden Krebsregisters kann man Ursachenforschung betreiben“, erklärte Wassermann der taz.
Dabei sei die Doktorandin „zufällig über die Leukämiefälle gestolpert“. Daß sie nicht in der sogenannten Michaelis-Studie über Krebserkrankungen von Kindern im Umfeld deutscher Kernreaktoren vorkommen, „wirft ein Schlaglicht auf die Zuverlässigkeit dieser im Auftrag von Herrn Töpfer erstellten Untersuchung“, sagte der Toxikologe. Töpfer habe mit dieser Studie „sein Wunschergebnis be-
1kommen: In der Nähe von Kernkraftwerken läßt sich sehr gesund leben, es gibt dort keine größere Krebshäufigkeit als anderswo“. Michaelis habe keine Totenscheine, sondern nur die Krebsfälle, die ihm aus Krankenhäusern gemeldet wurden, ausgewertet — und das so geschickt, daß nichts herauskommen konnte. „Die Studie ist mangelhaft“, so Wassermanns Urteil.
Auch Ralf Stegner, Sprecher des schleswig-holsteinischen Energiemi-
1nisteriums, das die vorläufigen Ergebnisse der Promotionsarbeit veröffentlicht hat, fordert, die Michaelis-Studie müsse nun um die Kinderkrebserkrankungen im Umfeld der Reaktoren Brokdorf und Brunsbüttel erweitert werden. Er fügte hinzu: „Die voreilige Freisprechung der Kernenergie als mögliche Ursache für Leukämie-Erkrankungen, wie sie in den letzten Monaten von Befürwortern der Atomenergie wie Minister Töpfer öffentlich vertre-
1ten wurde, ist verantwortungslos.“
Nach Angaben des Kieler Energieministeriums ist es jedoch derzeit nicht möglich, wissenschaftlich begründete Aussagen darüber zu machen, ob schleswig-holsteinische Atomkraftwerke Leukämie-Erkrankungen verursacht haben. Auch eine statistische Einordnung der Todesfälle im Landkreis Steinburg sei erst möglich, wenn die Forschungsarbeiten vollständig vorliege. Vera Stadie
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