Das Ende eines Kavaliersdelikts

■ In Ostberlin fehlen den Wohnungsbaugesellschaften mindestens 40 Millionen Mark durch nicht gezahlte Mieten/ 1.000 fristlose Kündigungen allein bei der Friedrichshainer Wohnungsbaugesellschaft

Berlin. 40 Millionen Mark fehlten den Ostberliner Wohnungsbaugesellschaften bereits im Frühjahr 92 aufgrund ausgebliebener Mietzahlungen. Ende September letzten Jahres waren es noch 18 Millionen Mark, die in den Kassen vermißt wurden. Eine Verdoppelung innerhalb eines halben Jahres also. Die Menge der Leute, die keinen Mietzins zahlen, ist jedoch rückläufig: Während zum 31. September 1991 genau 74.231 Mieter säumig waren, nahm die Zahl im gleichen Zeitraum um 156 auf 73.075 ab. Grund dieser unterschiedlichen Tendenzen ist die letzte Mieterhöhung in Ostdeutschland.

Mittlerweile droht die Räumungsklage

Zu DDR-Zeiten war es noch ein Kavaliersdelikt, seine Miete nicht zu bezahlen. Jetzt droht die Räumungsklage. Nach Angaben der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen wurden bisher 910 gerichtliche Mahnbescheide und 448 Räumungsklagen verschickt. 420.000 Wohnungen werden derzeit von den Ostberliner Wohnungsbaugesellschaften verwaltet. Bei 73.000 sind die Bewohner im Mietrückstand, das sind 17 Prozent. „Das ist ein größeres Problem, als wir es aus dem Westen gewohnt waren“, urteilt Christa Fluhr, Sprecherin des Verbandes der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen in Berlin und Brandenburg (BBU). „Im Westen war das kein Thema.“

Früher passierte säumigen Zahlern gar nichts

Zu DDR-Zeiten passierte erst einmal gar nichts, wenn die Miete nicht auf dem Konto der ehemaligen Kommunalen Wohnungsverwaltung (KWV) eintraf. Denn einerseits hatte die KWV keinen Überblick über ihren Wohnungsbestand. Andererseits waren die DDR-Mieten so niedrig, daß die Vermieter kein Interesse hatten, rechtliche Schritte zu unternehmen. Die guten alten Zeiten sind inzwischen aber vorbei. So haben die Wohnungsbaugesellschaften in Ostberlin ihre Akten durchlüftet, treiben ihre Miete jetzt EDV-gesteuert ein.

Früher Verfassungsrecht ...

Ein weiteres Schlupfloch war das DDR-Recht, weiß Justizsprecher Bruno Rautenberg. „In der DDR gab es das Verfassungsrecht auf Wohnen“, erklärte er. Danach durfte niemand aus seiner Wohnung vertrieben werden, wenn nicht Ersatz gefunden war. Nun gilt das Bürgerliche Gesetzbuch. Kritisch wird es „mit mehr als zwei Monatsmieten Rückstand“, erzählt Rautenberg aus seiner Zeit als Neuköllner Amtsrichter. Ab drei fehlenden Mietzahlungen kann „ein Räumungstitel“ verschickt werden. „Wenigstens die Miete zahlen“, lautet Rautenbergs Motto, falls einmal das Geld knapp werden sollte.

„Wenn die Wohnung weg ist, ist sie weg.“ Denn kulante Vermieter gebe es immer weniger. Die Tendenz sei inzwischen, „daß schneller rausgeschmissen wird“. Auch wenn schon ein Prozeß läuft, sollte sofort alles bezahlt werden, auch die laufenden Mietkosten, so Rautenbergs Tip.

...jetzt Bürgerliches Gesetzbuch

„Wir haben seit Oktober 1991 etwa 1.000 fristlose Kündigungen wegen fehlender Mieten verschickt“, sagt Birgit Stötzer von der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF). „Hinzugekommen sind 100 Zahlungs- und Räumungsklagen. Es gibt aber auch Wege, aus so einer Misere herauszukommen“, meint Birgit Stötzer. Die WBF arbeite – wie fast alle Ostberliner Gesellschaften – mit den Sozialämtern des Bezirks zusammen. Die helfen dann bei Mietrückständen, indem sie meist die Schulden übernehmen. „Wir vereinbaren aber auch Ratenzahlungen, wenn jemand in sozialen Schwierigkeiten ist“, erklärt die WBF-Sprecherin.

Einige Bezirke überweisen in einem Monat schon einmal bis zu 30.000 Mark an die Wohnungseigentümer. So standen die Sozialämter im vergangenen Jahr in 130 Fällen für Ostberliner Mieter gerade. „Gehen Sie zum Sozialamt!“ ruft Bruno Rautenberg alle Mietschuldner auf. Dort gibt es Schuldenberatung und in Härtefällen die Übernahme des Mietrückstands.

Hartmann Vetter, Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins, glaubt, daß „viele auch nicht mehr zahlen können. Das sind Leute mit ungeheuren Problemen. Einen Wohngeldantrag können oder wollen sie nicht stellen.“ Stephan Balig