Was treibt der Eskimo im Iglu?

„Im Schatten des Wolfes“ – ein New-Age-Märchen on the Rocks  ■ Von Karl Wegmann

Na, das ging ja schnell. Da sind die Indianer noch gar nicht richtig ausgelutscht, schon drängen die Eskimos auf die Leinwand. „Im Schatten des Wolfes“ heißt das neue Ethno-Märchen, diesmal kanadischen Ursprungs, vom schönen wilden Ureinwohner der wieder mal gegen die Natur im allgemeinen und gegen den bösen weißen Mann im besonderen kämpft. Wie in jedem Indianerfilm der letzten Jahre gibt's auch diesmal gute Wilde und schlechte Wilde, jede Menge Orginalsprache, ein paar Sadismen, ein bißchen romantische Liebe, und selbstverständlich fehlen auch die herrlichen Landschaftsaufnahmen nicht.

Es ist ein verdammt hartes Leben, das die Inuit da am Rande der Arktis in einer endlos weißen Welt führen. Damit das auch ja jedem zuschauenden Zivilisationsheini sofort klar wird, darf Hauptdarsteller Lou Diamond Phillips gleich zu Anfang einen Eisbären killen – mit dem Messer natürlich, womit sonst? Zäher Bursche, dieser Agaguk. Der Bär wird verschnürt, auf den Schlitten verpackt, und die Huskies haben einen Job zu erledigen. Im Dorf wartet schon neuer Ärger auf den Jäger: Sein Papa ist wieder mal sternhagelvoll – das findet Agaguk gar nicht gut. Zwar schätzt auch er die Feuerwaffen des weißen Händlers, mit dem Feuerwasser will er aber nichts zu tun haben. Als Papa dann an die junge Igiyook, auf die Sohnemann schon lange ein Auge geworfen hat, Hand anlegt und großspurig verkündet, als Häuptling wäre das schließlich sein gutes Recht, vergißt Agaguk seine Kinderstube: Er ballert seinem Erzeuger die Faust unters zottelbärtige Kinn, erdolcht den weißen Schnapsdealer, schnappt sich seine Dulzinea und zischt ab in die Eiswüste. Papa, der nebenbei auch noch Schamane ist, schickt einen fiesen Fluch hinterher: „Du wendest deinem Volk den Rücken zu! Der Geist des weißen Wolfes wird dich jagen. Du wirst allein in großer Einsamkeit sterben.“ Au Backe! Das hat Agaguk nun auch wieder nicht gewollt. Aber egal, so'n Spruch haut keinen Eskimo vom Schlitten.

Verschnaufpause. Regisseur Jacques Dorfmann schiebt eine kleine Zwischenmahlzeit ein. Serviert wird eine Portion Ethnologie: Nachdem Agaguks Huskies ordentlich Überstunden geschoben haben, sehen wir, wie der Eskimo ein wunderschönes Iglu baut, wie er Fische fängt, Robben aufspießt, einen Wal harpuniert, Kajak fährt und auch die Paarungsgewohnheiten in einer Schneehütte werden elegant ausgeleuchtet. Agaguk ist ein lupenreiner Macho, der seine geklaute Frau echt mies behandelt. Dabei sieht er jedoch sooo schön aus, mit seinem feingeschnittenen Gesicht, seiner Babyhaut und seinem seidigen langem Haar, daß jede Zuschauerin mit dem Eskimoweib einer Meinung ist: Der Typ ist eigentlich kein schlechter Kerl! Außerdem schleppt er immer genügend tote Seehunde ran und kommt permanent seinen Ehepflichten nach – was machen da schon ein paar grobe Worte.

Schnitt. Schluß mit der Iglu- Idylle. Im Eskimo-Dorf ist wieder Action angesagt. Ein Polizist taucht auf, um den längst tiefgefrorenen Händler zu suchen. Auftritt Donald Sutherland – und Abgang. Der Häuptling erlegt den weißen Bullen sauber mit einem Blattschuß. Während ein Eskimo ihn aufschlitzt, seine Leber herausreißt und mampfend seine Zähne in das dampfende Organ schlägt, öffnet ein anderer der Leiche die Hose, zieht den Penis lang und – zack – schneidet ihn ab. Danach verkündet der Chef, man möge den Rest doch bitte in vier bis fünf Teile tranchieren und irgendwo verbuddeln. Ja, wir haben es hier noch mit echten Wilden zu tun.

Zurück zum jungen Glück im Schnee. Die einzige Freizeitbeschäftigung unseres wilden Pärchens ist inzwischen von Erfolg gekrönt: Igiyook ist schwanger! Agaguk befiehlt ihr einen Sohn zu gebären, andernfalls... Auf jeden Fall ist neues Leben unterwegs, nachdem soviel gestorben wurde, und damit steht dem Happy-End nichts mehr im Wege – außer den blöden Weißen, die den gemeuchelten Polizisten rächen wollen. Die haben jedoch die Rechnung ohne den Häuptling/Schamanen gemacht. Der kauzige Killer verwandelt sich nämlich einfach in einen großen Vogel und entfleucht. Die Rächer gucken dumm aus der Uniform, die Eskimos lachen sich scheckig, ihr neuer Boß Agaguk läßt noch schnell einen pseudophilosophischen Spruch ab und wenn sie nicht gestorben sind...

Bei der Realisierung seines Ethno-Märchens on the Rocks hielt sich der französische Regisseur Jacques Dorfmann ans Wilde- Ureinwohner-Erfolgsrezept, wie es von Kevin Costner ausgebrütet wurde: Seine Eskimos sind, wie Costners Sioux, ein bunter Haufen New-Age-Hippies. Allerdings würzte Dorfmann zu stark nach: zuviel verschrobene Mystik, zu viele bedeutungsschwangere Dialoge und eine Musik (von Maurice Jarre), die mit großem Pathos forsch die leisen Töne der Geschichte zukleistert. Bei der Besetzung steckte Dorfmann in einem Dilemma: Erstens brauchte er für sein Eskimo-Epos, mit 31 Mio. Dollar der bisher teuerste kanadische Film, unbedingt ein paar Weltstars, um die Leute ins Kino zu locken, zweitens dachte er sich wohl, daß die mongoloiden Bewohner der arktischen Zone mit ihren gedrungenen Körpern und breiten Gesichtern nicht sehr anziehend auf den westlichen Kinobesucher wirken würden. Der große Toshiro Mifune als Häuptling Kroomak war da ein guter Griff; aber Jennifer Tilly als Igiyook und vor allem der ranke Schönling Lou Diamond Phillips als Agaguk wirken völlig unglaubwürdig. Phillips, geboren 1962 auf den Philippinen, wird gerne als Minderheiten-Darsteller eingesetzt. Er war gut als Ritchie Valens in Luis Valdez' „La Bamba“, und er spielte schon einige Male recht überzeugend einen Indianer (z.B. in „Renegades“); aber als Inuit ist er völlig fehlbesetzt.

Die darstellerische Bandbreite von Mexikaner über Araber, Indianer, Grieche usw. bis Eskimo hat bis jetzt nur ein Filmschauspieler überzeugend gebracht: Anthony Quinn. Vielleicht hatte Quinn ja recht, als er vor einiger Zeit bemerkte: „Heute gibt es auf der Leinwand keine Männer mehr, nur noch Jünglinge, die mit dem Arsch wackeln.“ Damit tun sie den Eskimos und Indianern natürlich keinen Gefallen.

Jacques Dorfmann: „Im Schatten des Wolfes“, mit Lou Diamond Phillips, Toshiro Mifune, Jennifer Tilly, Donald Sutherland u.a.; Kanada 1991; 98 Min.