Ein Schmuckstück der Asylpolitik

Im hessischen Butzbach betreut der Arbeitskreis Asyl 500 Flüchtlinge in der Schloßkaserne/ Vertrag läuft zum Jahresende aus/ „Seltene Einmütigkeit“ im Rathaus durch Kommunalwahlkampf gefährdet  ■ Von Heide Platen

Die Wege der vier schwarzen jungen Männer trennen sich am Ende der Bismarckstraße im mittelhessischen Butzbach. Jim und Dave aus Los Angeles lachen, rufen „Hi!“ und biegen nach rechts ab in die uniforme Wohnsiedlung der GIs. Die beiden Ghanesen blicken scheu zurück und gehen links durch die schmale Pforte am Campingwagen des Wachdienstes vorbei in das Asyllager in der umzäunten Schloßkaserne.

Der Zahn der Zeit hat an den Gemäuern der Häuser genagt. Das landgräfliche Barockschloß und seine Nebengebäude auf dem 8,5 Hektar großen Gelände sind 1824 zur Kaserne umgebaut und seither ununterbrochen militärisch genutzt worden. 1945 kamen die US- amerikanischen Soldaten. Sie räumten die Häuser 1991. Im November standen die ersten 50 von 500 AsylbewerberInnen mit ihrem Handgepäck, in dünnen Kleidern frierend, in den fast leeren Räumen. Eine Welle der Hilfsbereitschaft schlug ihnen im Ort entgegen. Fassungslos blickten die gerade frisch engagierten Sozialarbeiter auf Berge von Spenden. Seither leben die Menschen aus über 20 Nationen am Rande der Innenstadt – nicht im Wohngebiet und doch zentral – so sicher, wie das für Fremde im neuen Deutschland möglich ist.

Der spontan gegründete Arbeitskreis Asyl, in dem sich der Mittelstand der Stadt ebenso zusammenfand wie eine Unternehmerin und kleine Angestellte, hat seine Fittiche schützend über die Menschen gebreitet. Zum Arbeitskreis gehören die Ehefrau des örtlichen Gefängnisdirektors, Lehrer, Hausfrauen, Angestellte, ein Hausmeister, ein Unternehmer. Einer der drei SprecherInnen ist der 71jährige, pensionierte evangelische Pfarrer Rudolf Trey. Er steckt voller Tatendrang und Erfahrung, arbeitet seit über 15 Jahren mit AusländerInnen und half, die anfangs „spontane und etwas wilde Hilfe“ der ButzbacherInnen zu lenken. Es entstanden eine Spielstube für die rund 40 Kinder, eine Kleiderkammer, eine Teestube, ein Tischtennisraum und soziale Beratung zur Orientierung im fremden Land. Das Begrüßungsschreiben gibt es inzwischen in 14 Sprachen. Ein Fragebogen regelt die Ausgabe der Hilfsgüter. Regelmäßig kommen die Mitglieder des Arbeitskreises zu ihren festen „Dienststunden“ ins Lager. Sie bekommen eine kleine Gratifikation. Trey: „Wer länger arbeitet, bekommt auch nicht mehr, aber eine Anerkennung muß sein.“ Der Arbeitskreis ist stabil und hat inzwischen gelernt, nur die Aufgaben zu übernehmen, „die der Staat nicht leisten kann“. Auch diejenigen, die bei den ersten Treffen „nur mal gucken wollten“, blieben bis heute begeistert dabei.

Im Keller der Kaserne sind die Vorratslager eingerichtet. Dort türmen sich in einem Raum Spielsachen, in einem anderen Schuhe und Kleidung. Trey machte bei der Ausgabe an die neu angekommenen Kinder seine Studien: „Die meisten wollen keine Stofftiere, sondern Puppen und Autos.“ Nur eine Gruppe kleiner Vietnamesen, wundert er sich, „die wollten wieder nicht an die Puppen ran“. Solche Unterschiede verwischen sich im gemeinsamen Spiel schnell. Das gilt, auch für Trey überraschend, ebenso für die Erwachsenen. Männer aus mindestens vier Nationen kicken im Hof gerade den Fußball über den Asphalt. Auch gegnerische Tore werden, „sogar von Serben und Bosniern“, mit Jubel begrüßt. Trey: „Die sagen mir auch, sie seien geflohen, weil sie nicht auf Landsleute schießen wollten. Warum sollen sie dann hier Streit anfangen?“ Die Frauen verschiedener Hautfarben und Religionen taten sich schwerer, stellte Trey fest. „Die waren zuerst viel mißtrauischer und ängstlicher gegeneinander.“ Gemeinsame Feste, das Austauschen der Bräuche und Lieder halfen zum Verständnis. Auch der private Betreiber des Lagers, so Trey, zog mit: „Die geben sich wirklich sehr viel Mühe!“ Im Tagungsraum hängen die fast professionellen Bleistiftzeichnungen, die von Kindern unter der Anleitung eines chinesischen Zeichners, den die Lagerleitung eingeladen hatte, gestrichelt wurden.

Beschimpfungen der Flüchtlinge in der Lokalzeitung und böse anonyme Briefe gab es zwar auch, „aber nur wenige“. Ein einzelner Brandsatz und der kurze Besuch „von fünf bis sechs betrunkenen Skinheads“ wurden vom Wachdienst souverän bewältigt.

Trey ist versiert im Umgang mit Behörden. Er beklagt, wenn auch leise und vorsichtig, die Unbeweglichkeit mancher Dienststellen. Alle Mühe, den Menschen Arbeit und private Zimmer zu verschaffen, um die Situation zu entspannen und die Staatskasse zu entlasten, seien müßig, wenn einzelne Beamte das blockierten. Das sei zwar die Ausnahme, komme aber eben immer wieder vor. Die Freude ist ihm anzumerken, wenn er statt dessen über gute Wendungen im Schicksal einzelner berichten kann. Der baumlange Kerl, den er auf dem Flur begrüßt, war vor seiner Flucht jugoslawischer Linzenz-Fußballer. Jetzt trainiert er in einem Nachbarort, hat dort schon ein Zimmer und wird demnächst, so hofft Trey, die Erlaubnis bekommen, zum Ruhme der Region ganz legal zu kicken.

Im Butzbacher Rathaus hört Magistratsdirektor Helmut Pfeffer das Lob für die Hilfsbereitschaft der ButzbacherInnen und das „Musterlager in ganz Hessen“ ebenso gerne wie Bürgermeister Klaus Jürgen Fricke (SPD). Er weiß, daß es dem Ort mit rund 22.500 EinwohnerInnen, mit alter Handels- und Handwerkstradition – gemessen an anderen Gemeinden jedenfalls – finanziell „noch nicht ganz so schlecht geht“. Den Abzug eines Teils der US-amerikanischen Armee hat die Stadt eigentlich gut verkraftet. Daß die GIs ein wichtiger Wirtschaftsfaktor waren, ist lange her. In den Zeiten, in denen „der Dollar noch über vier Mark wert war“, erinnert sich Pfeffer, „hatten wir hier über 120 Gaststätten. Jetzt gibt es nicht einmal mehr die Hälfte.“

Der ehemals „monotone Industriestandort Butzbach“ mit seinen Maschinen- und Schuhfabriken änderte seine Wirtschaftsstruktur rechtzeitig und siedelte mittlere Betriebe an. Liebevoll werkelt die Stadt seit Jahren an der Restaurierung der alten Fachwerkhäuser rund um den Marktplatz und nennt sich „Perle der Wetterau“. Der Standort liegt verkehrsgünstig und zieht nicht nur Betriebe, sondern auch Häuslebauer aus der engen Rhein-Main-Region an. Mit Blick auf die Amerikaner, die noch eine ganze Brigade im Stadtteil Kirch- Göns stationiert haben, und mit Blick auf den neuen Zuzug sagen alte Butzbacher ironisch: „Wir sind einfach an Ausländer gewöhnt.“

Für das unerwartet freigewordene, großzügige Kasernen- und Schloßgelände liegen allerdings schon ganz andere, unterschiedliche Pläne vor, die von der Rathauserweiterung bis hin zur Sporthalle reichen. Freizeitzentren und Restaurants sind „angedacht“. Deshalb ist der Friede, der bei der Einweisung der AsylbewerberInnen von allen Parteien im Stadtrat geschlossen worden war und den Magistratsdirektor Pfeffer „so einvernehmlich wie selten etwas“ nennt, auch ein wenig trügerisch. Der Vertrag für die Kasernennutzung mit dem Land Hessen läuft zum Jahresende aus. Die Stimmen mehren sich, die auf dessen Einhaltung drängen. Und dann müßten die Asylbewerber ausziehen. Auch Pfarrer Trey weiß nicht so ganz genau, ob die Befriedung der Bevölkerung in Butzbach nicht auch auf diese „überschaubare zeitliche Befristung“ des Vertrages zurückzuführen ist. So werden Befürchtungen laut, die Parteien könnten ihre schöne Einmütigkeit rasch vergessen, wenn die Kommunalwahlen näherrücken.

Pfeffer verhandelt inzwischen mit dem Wetterau-Kreis um den Beitritt in die „Gemeinnützige Genossenschaft Flüchtlingshilfe“, die Alternativen für die Flüchtlinge schaffen will. Dem liegen ähnliche Überlegungen zugrunde, wie sie die Stadt Kassel erst jetzt gegen den Widerstand des Landes durchsetzen konnte. Dort werden schlichte Fertighäuser entstehen, die später in Sozialwohnungen umgewandelt werden können und die hohen Zahlungen an die privaten Betreiber einsparen sollen.

Währenddessen fürchtet Pfarrer Trey, der eigentlich gegen Massenunterbringungen in Sammellagern ist, um den „bewährten und idealen“ Standort Schloßkaserne: „Warum sollen wir das Gute, das sich hier entwickelt hat, wieder aufgeben und in dezentralen Einrichtungen von vorne anfangen müssen?“

Sogar die örtliche Polizei habe das Lager, nach anfänglichen kleineren Zwischenfällen mit Ladendiebstählen, ausdrücklich gelobt: „Bei euch ist ja gar nichts mehr los“, habe ihm ein Polizist verwundert gesagt und selber Kleiderspenden hergetragen.