Gentechnik vor Gesetzestreue?

Die von der Koalition geplante Deregulierung des Gentechnikgesetzes stößt noch auf Widerstände/ Bedenken in Teilen der SPD und Konflikte mit der EG-Kommission  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

Sollte es dank ausgefeilter Gentechnik eines Tages gelingen, daß Lügen keine kurzen Beine mehr haben, müßte der CDU-Abgeordnete Paul Hoffacker einer der ersten Abnehmer sein. „Im Zielkonflikt“, so Hofacker gestern in der Gentechnik-Debatte des Bundestages, müsse immer für den Schutz von Mensch und Umwelt entschieden werden. Mit diesen hehren Worten plädierte der Christdemokrat für einen Entschließungsantrag von Union und FDP, der genau das Gegenteil vorsieht: Um die mit Auswanderung drohenden Forscher und Industrieführer zu besänftigen, sollen die Schutzvorschriften im erst vor zwei Jahren erlassenen Gentechnikgesetz zusammengestrichen werden.

So sollen zukünftig gentechnische Experimente in neuerrichteten Anlagen der SicherheitsstufeI ohne Genehmigung stattfinden dürfen. Lediglich eine Anzeigepflicht wollen die Koalitionäre in der CDU und bei den Liberalen den Gentechnikern in dieser Sicherheitsstufe auferlegen, unter die immerhin 80 Prozent aller Genbasteleien fallen. Den Behörden bliebe damit kaum noch Gelegenheit, fürchtet der SPD-Abgeordnete Wolf-Michael Catenhusen, rechtzeitig zu prüfen, ob nicht beispielsweise durch das Abwasser der Anlage genetisch manipulierte Organismen in die Freiheit gelangen könnten: Eine Freisetzung auf kaltem Weg.

Schon unter dem geltenden Gesetz würden in 95 Prozent der Labors die Abwässer nur unzureichend gereinigt, glaubt Catenhusens Fraktionskollegin Marliese Dobberthien. Heute wird in Deutschland in immerhin schon 1.000 Genlabors mit dem Erbmaterial gefummelt. Künftig, so wünscht es sich der CDU-Abgeordnete Hans-Peter Voigt, sollen schon Oberschüler und Studenten erste Erfahrungen mit der Gentechnik machen dürfen. Doch zuvor müßten per Gesetzesänderungen die Genehmigungsfristen deutlich verkürzt werden.

Im Haus von Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) laufen die Vorarbeiten bereits an. Denn Voigt und seine Parteifreunde wollen das Gesetz „sehr schnell“ novellieren. Daß daraus nichts wird, läßt sich freilich jetzt schon ausrechnen. Um das neue Gesetz durch den Bundesrat zu bugsieren, braucht die Regierung nämlich die Zustimmung der Sozialdemokraten. Und zumindest Forschungspolitiker Catenhusen will „eisenhart“ dafür kämpfen, daß die Behörden auch künftig jedes neue Genlabor vor der Inbetriebnahme kontrollieren können.

Daß die Versprechen einer raschen und drastischen Deregulierung sich als „Schaufensterreden“ (Catenhusen) erweisen könnten, dafür gibt es noch einen weit gewichtigeren Grund. Denn während CDU und FDP eine Entschärfung des Gentechnikgesetzes einfordern, pocht die EG-Kommission auf eine Verschärfung, um das deutsche Recht endlich der geltenden EG-Richtlinie anzupassen.

Auf eine 14 Punkte umfassende Brüsseler Mängelrüge vom 6.August hat das Bundesgesundheitsministerium — mit einmonatiger Verspätung — jetzt geantwortet. An vier Punkten sei die Kritik durchaus berechtigt, räumt man im Ministerium ein.

Unter anderem will Seehofers Ministerium deshalb jetzt eine Verordnung nachreichen, die es den Gentechnikern auferlegt, Notfallpläne aufzustellen. Daß sich die von CDU und FDP geforderte Deregulierung des deutschen Gesetzes mit der EG-Richtlinie verträgt, wird im Gesundheitsministerium stark bezweifelt. Einige Forderungen stünden „eindeutig nicht im Einklang mit dem EG-Recht“, sagt ein Beamter. Eine bloße Anzeigepflicht für neue Genlabors sei mit der auch für Deutschland verbindlichen Brüsseler Richtlinie „kaum vereinbar“.

Folgerichtig kündigte Seehofer gestern im Bundestag „Bemühungen“ an, die hinderlichen EG- Richtlinien zu ändern, fügte aber sogleich hinzu: „Daß das unheimlich schwer ist, muß mir keiner sagen.“ Einige Abgeordnete der Regierungskoalition scheinen sich deshalb bereits mit dem Gedanken vertraut zu machen, zugunsten der Gentechnik das europäische Recht einfach zu mißachten. „Wir wollen keine Unterwerfung unter EG- Vorschriften, die den Standort Deutschland hemmen“, wetterte Paul Hoffacker. Gentechnik vor Gesetzestreue?

Dem Ziel von CDU und FDP könne eine derartige Strategie kaum dienen, warnt Catenhusen. Ein jahrelanger Rechtsstreit mit der EG-Kommission schaffe nicht die Rechtssicherheit für die deutschen Gentechniker, die diese bräuchten.

Wenn sich CDU und FDP, wie gestern im Bundestag geschehen, über die Konkurrenzvorteile der gentechnischen Forschung und Industrie in anderen EG-Staaten beklagten, dann liege das ohnehin weniger an den unterschiedlichen Gesetzen, die in allen EG-Staaten den Brüsseler Richtlinien genügen müssen, sondern eher an der deutschen „Verwaltungspraxis“, glaubt der SPD-Abgeordnete. Deutsche Behörden neigten nun einmal dazu, jedes Detail bürokratisch zu regeln. Und so könne es kommen, daß Gentechniker in Berlin mit ihren Landesbehörden fabelhaft zurechtkämen, daß aber die Firma Hoechst in Frankfurt schon seit acht Jahren vergeblich auf die Genehmigung einer Fabrik wartet, in der Humaninsulin gentechnisch produziert werden soll.

Doch nicht nur in Bonn oder Frankfurt, sondern auch in Brüssel machen die „Chemie-Multis massiven Druck“, hat die grüne Europa-Abgeordnete Hiltrud Breyer beobachtet. Die Gen-Lobby verweise auf die Beispiele der USA oder von Japan, um in Europa eine Deregulierung durchzusetzen. Daß es in den USA günstigere Bedingungen für die Gentechnik gibt, wird von der EG-Abgeordneten Breyer jedoch bezweifelt. In der Tat belegt eine von der Kommission noch unter Verschluß gehaltene Studie, die der taz vorliegt, daß die Amerikaner ihrer Gen-Industrie an einigen Punkten schärfere Bestimmungen auferlegen, als in Europa üblich.