Lebende Putten und tote Tragödien

■ Gabriella Bußacker überzeugte mit Traumrollen auf Kampnagel / Überraschende Wandlung zum sinnlichen Theater

überzeugte mit Traumrollen auf Kampnagel/Überraschende Wandlung zum sinnlichen Theater

Zu rhythmischem Geklapper erscheinen vier Personen in Fechttrikots vor einem kurzen Laufsteg. Ein Samowar köchelt vor sich hin, die vier verziehen sich in vier halbtransparente Kammern, der Bilderbogen ist eröffnet. Im Verlauf der nächsten zwei Stunden entrollen sich die Traumrollen in einem amüsant-leichten Spiel. Vom Ausgangspunkt, dem gegenseitigen Eingeständnis von Langeweile, entwickelt sich der zweite Teil der Video- Theater-Trilogie von Gabriella Bußacker in immer bizarreren Arrangements und Traumbildern. Resultat ist eine phantastische Erzählung, die flüchtig an Shakespeares oder Lewis Carrolls Bilderwelten erinnert und die Welt in der Welt zum Thema hat.

Könige und Revuegirls, die eigentlich Schauspieler sind, Brummbären mit einem Ohr und blinde Fechter, lebende Putten und tote Tragödien, falsche Frauen und echte Tränen assoziiert die Regisseurin ineinander, sie läßt Geschichten erzählen und Goethe- Texte rappen, beseelt Spielzeug und choreografiert spannende Ballette mit Tassen, Stühlen und Reifröcken. All der schrecklich kühle Pathos, die intellektuelle Päpstlichkeit und die blinde Endlosverschlüsselung ihrer früheren Stücke scheinen wie ausgelöscht. Das abstrakte Thema, im Theater das Zusammenspiel von immaterieller (Video) und physischer Kommunikation zu untersuchen, wird nicht mehr wie eine Keule gehandhabt, die alle Sehlust zerschmettert. Die wundersame Wandlung der Gabriella B. führt zu Humor und Gespür für Unterhaltung.

Neben dem Einfallsreichtum der Inszenierung verdankt Bußacker den Charme ihres Stückes ganz entscheidend der Ausstrahlung ihrer vier jungen Darsteller, Edith Adam, Christian Concilio, Daniel Jöhnk und Thomas Schreyer, allesamt Schauspielschüler, die mit ungemeiner Spiellaune und feuchter Jugendlichkeit dem verwirrenden Spiel Tempo, Herz und Augenzwinkern verleihen. Schnell, präzise und mit einer Überzeugung, die sie in dem Stück stellenweise selber schmunzeln läßt, führen sie die Regie Bußackers aus, als wären es ihre eigenen Vorstellungen von Theater.

Den steten Wechsel von Identitäten und Rollen meistern sie mit einer Kreativtät, die auch die gelegentlichen Längen in der Aufführung vergessen macht, die, um eine halbe Stunde gekürzt, sicherlich noch einmal gewinnen würde. Vielleicht war es eben diese Kreativität, die der stets um philosophische Federführung bemühten Regisseurin die Läuterung beigebracht hat, daß Theater dann am geistreichsten ist, wenn der intellektuelle Hintergrund nicht permanent aus allen Ansprachen quillt. Till Briegleb

Noch bis zum 21.11. (außer Montags), K4, 20 Uhr