Einschläge, die kaum zu schaffen sind

Die Hochschulen unter dem Diktat der Sparkommissare/ Freie Universität muß 19 Millionen Mark einsparen/ Geldmangel erschwert die dringend nötigen Strukturreformen  ■ Von Christian Füller

Dahlem. Was hat Ästhetische Theorie mit Pharmakologie zu tun? Christoph Menke, Philosopieassistent an der Freien Universität, versucht neuerdings, Adornos Gedanken über Ästhetik in einem Hörsaal der Pharmakologie an StudentInnen zu vermitteln. 200 InteressentInnen wollten am Anfang des Semesters in das Proseminar. Das war zuviel für das Philosophische Institut. Nach Angaben der studentischen Institutszeitschrift ez hadaát gehört es zu den am meisten überlasteten der FU: sechs Leute werden dort auf einem Studienplatz ausgebildet.

Nach dem Umzug zu den Pharmakologen haben Christoph Menkes philosophische SchülerInnen zwar alle einen Sitzplatz. „Aber mit 150 StudentInnen, da ist es unmöglich, ein Seminar zu veranstalten, erst recht kein Proseminar“, sagt Menke.

Normalerweise sitzen etwa 40 Studierende in den Seminaren. Doch die Situation wird sich in naher Zukunft verschärfen. 1993 sollen am Philosophischen Institut vier Stellen wegfallen; ein Trend, der die ganze FU und die Berliner Hochschullandschaft erfaßt hat. 19 Millionen Mark muß die Dahlemer Freie Universität einsparen. Hinzu kommt, wie jüngst bekannt wurde, eine Deckungslücke von 44,2 Millionen Mark. Sie entsteht, weil die Tarifabschlüsse in der Finanzplanung nicht berücksichtigt sind. Sprich: der FU-Präsident kann nach der derzeitigen Lage die Gehaltsanhebungen 1993 nicht zahlen. Das Studenten-Magazin Lieblingszeitung schätzt, daß die FU allein im nicht-medizinischen Bereich mit 45,6 Millionen weniger haushalten muß. FU-Präsident Gerlach sagte den Abgeordneten des Wissenschaftsausschusses dazu: „Es geht um ein Quantum an Einschlägen, das mit Sinn und Verstand nicht zu schaffen ist.“

Was den FU-Präsidenten und seine KollegInnen ärgert: die Sparmaßnahmen werden mit dem Ruf nach Strukturreformen der Universitäten verknüpft. Genau diese aber verhindern die drastischen Kürzungen im Hochschulbereich, wie das Beispiel der Technischen Universität zeigt. An der Straße des 17.Juni diskutierte man jahrelang über eine Struktur- und Studienreform. Anfang November faßte der Akademische Senat der TU den Beschluß über das neue Strukturkonzept, stolz und trotzig teilte die Uni mit, sie sei „die erste und einzige Hochschule in der Bundesrepublik, die sich zu einer Selbstreform fähig erwiesen hat“.

Doch die Umsetzung des Beschlusses ist noch keine ausgemachte Sache. Die Universität brauche, so rechnete ihr Präsident, Manfred Fricke, vor, etwa 250 Stellen zur Disposition, als Reserve, um die Reform durchzuführen. Nun aber komme die Sparauflage, die etwa 300 Stellen koste, und raube der TU den Reservebedarf. Manfred Fricke sagte, eine solche Politik führe zu „irrsinnigen Strukturverzerrungen“ und gefährde die Universität insgesamt in ihrer Entwicklung.

„Ich hab das Gefühl, ich weiß noch viel zu wenig“, sagt Norbert F., Psychologiestudent und Examenskandidat. Er meine damit nicht das Prüfungswissen, sondern das für die Praxis. Die Möglichkeiten, dieses Wissen zu erwerben, sind für den 29jährigen, der eine Berufsausbildung hinter sich hat, schwierig. Wenn er in die Bibliothek geht, findet er zwar Platz, aber selten Bücher. „Die haben überhaupt keine Auswahl“, schimpft er. Wie Norbert F. geht es hunderttausend anderen Studenten. Sie wollen studieren, aber der Staat läßt die Universitäten verkommen. Die Hochschulrektorenkonferenz geht in ihrem Konzept zur Entwicklung der Hochschulen davon aus, „daß bis zum Jahr 2010 der Anteil der Universitätsabsolventen um 80 Prozent auf etwa 3,2 Millionen ansteigen wird“. Bei den Fachhochschulabsolventen betrage die Steigerung etwa 50 Prozent auf rund 3 Millionen. Damit läge im Jahr 2010 der Anteil an Hochschulausgebildeten bei über 20 Prozent der Beschäftigten. Der Bundesbildungsminister hat in seinem jüngsten Bildungsbericht bestätigt, daß die Studierneigung in der Bundesrepublik weder ausgesprochen hoch, noch dem Bedarf unangemessen wäre.

Allerdings ist gerade der Bund chronisch im Hintertreffen, wenn es um den adäquaten Ausbau der Hochschulen geht. Während in den Länderhaushalten die Anteile der Hochschulausgaben an den Gesamtausgaben von 3,7 auf 9 Prozent stiegen, sank dieser Wert auf unter ein halbes Prozent beim Bund. Diese Entwicklung fand seit dem Öffnungsbeschluß im Jahr 1977 bis 1990 statt. Im gleichen Zeitraum hat sich die Zahl der Studierenden von 913.000 auf 1,65 Millionen (nur West) erhöht, das ist eine Steigerung von 75 Prozent. Gleichzeitig wuchs das wissenschaftliche Personal in der ganzen BRD an den nicht-medizinischen Einrichtungen um ganze 1,6 Prozent. Das bedeutet im Klartext, daß es 1990 gerade 1,170 Hochschullehrer mehr gab als 1977, wenn man die Medizin außer Betracht läßt. Die Kultusministerkonferenz der Länder hat den Bund deswegen dringend um eine Erhöhung seines finanziellen Beitrages für die Hochschulen aufgefordert. Uli und Henning sitzen im Foyer des Philosophischen Institutes, wo die Studierenden sich ein Café eingerichtet haben. Die beiden Studenten lehnen die Etatkürzungen für die Unis ab. Wenn sie auf die Studierenden zu sprechen kommen, erfaßt sie eine Art gelassener Frustriertheit. „Mit den Studis kannste da nix machen“, meinen sie, die den Hochschulstreik des Jahres 88/89 erlebt haben. Der Befund der beiden ist vor wenigen Tagen durch die Ergebnisse einer Umfrage bestätigt worden. Der Marburger Erziehungswissenschaftler Rainer Bramer sieht ein „ideologisches Vakuum“ bei den Studenten. Die gäben das Bild eines „modernen Biedermeiers“ ab, die zwar die Mißstände an den Hochschulen wahrnähmen und sie kritisierten. Sie würden aber keine Konsequenzen aus der Kritik ziehen.

Vor zwei Wochen gab es erstmals wieder Studentendemonstrationen. Die SozialpädagogikstudentInnen protestierten beim Wissenschaftssenator und waren auch nach einem Gespräch in seinen Amtsräumen in der Brettschneiderstraße nicht versöhnt. Die Lieblingszeitung, im Streik vor einigen Jahren entstanden, berichtete über die Demonstrationen mit dem Satz: „Noch ist Zeit zum Widerstand“.