: Im Truck durch Westaustralien
Erbarmungslose Hitze und Isolation bestimmen das Leben der Menschen in diesem Teil Australiens ■ Von Elke Hoppe
„Bis Donnerstag.“ Jane Keune tätschelt ihre Rottweiler Max und Eric, dann schwingt sie sich hinauf in das Führerhaus des knallroten Volvo. Ihr Blick schweift durch die Kabine – Papiere und Koffer sind an Bord. Jane läßt den 465 PS starken Motor an. Langsam rollt der Truck mit seinen zwei Anhängern und einer Gesamtlänge von 33 Metern auf die Hauptstraße von Geraldton. An diesem Montag abend im Juli verlassen wir den windigsten Ort Westaustraliens, 400 Kilometer nördlich von Perth am Indischen Ozean. Vor uns liegen 1.550 Kilometer auf dem North West Coastal Highway in Richtung Norden. In 36 Stunden müssen die siebzig Tonnen Nitrat im „Shay Gap“-Eisenerzbergwerk sein. Dort wird es mit Diesel gemischt und als Sprengstoff benutzt. Mit dieser explosiven Fracht sind maximal 90 Stundenkilometer erlaubt. Die Zeit ist knapp, eine Panne können wir uns nicht erlauben.
Schon kurze Zeit später haben wir die Lichter Geraldtons hinter uns gelassen. Die Fahrt führt durch eine hügelige Landschaft. Im zweiten von 16 Gängen erklimmen wir schwerfällig einen Hügel. Das Scheinwerferlicht weist uns den Weg durch das undurchdringliche Dunkel.
Janes mädchenhaftes Gesicht wird vom Widerschein der Kontrolleuchten auf dem Armaturenbrett erhellt. Die zierliche 47jährige wurde in Rhodesien, dem heutigen Simbabwe, geboren. 1965 zog sie nach Sambia, wo ihr Sohn Perry geboren wurde. Nach der Trennung von ihrem Mann – Perry war gerade acht Monate alt – gründete sie ein Fuhrunternehmen. Aufgrund der politischen Lage kehrte sie Afrika Anfang der siebziger Jahre den Rücken und wanderte nach Australien aus. Hier gründete sie zunächst ein Ein-Frau-Unternehmen mit einem Truck. Heute gehört ihr ein Fuhrunternehmen mit einer Flotte von zehn LKWs. „Oh Mann!“ Jane inhaliert tief den Rauch ihrer Zigarette. „Es ist nicht einfach in dieser Männerdomäne, ein ständiger Kampf um Anerkennung“, grinst sie. „Aber in zwanzig Jahren habe ich mich wohl oder übel daran gewöhnen müssen.“
Wir erreichen Binnu. Was auf der Landkarte wie ein richtiger Ort aussieht, entpuppt sich als eine Ansammlung von Getreidesilos. Wir sind in der Kornkammer Australiens, mitten im Weizenanbaugebiet. Ein Hinweisschild auf eine Parkbucht taucht auf, und Jane drosselt das Tempo der „Lady Jane“, die Perry nach seiner Mutter benannt hat. Hier werden alle 52 Reifen des Trucks gecheckt, d.h. mit einem Hammer abgeklopft. Eine Prozedur, die wir von nun an alle zwei Stunden wiederholen. Die Lebensdauer eines solchen 600-Dollar-Reifens beträgt 80.000 bis 100.000 Kilometer. Kaum eine Tour vergeht ohne einen Reifenwechsel, der im günstigsten Fall eine halbe Stunde dauert, manchmal einen halben Tag. „Mein absoluter Rekord waren elf Platte“, erinnert sich Jane. „Ich bin fast durchgedreht.“ Da nur vier Ersatzreifen an Bord waren, mußte sie die kaputten Reifen so plazieren, daß sie jeweils neben einem intakten Reifen liefen.“
Weiter geht's, und wir überqueren den Hutt River. Der Besitzer der Hutt River Station, einer großen Weizenfarm, erregte vor ein paar Jahren großes Aufsehen damit, daß er sich selbst zum Prince Leonard of Hutt ernannte. Um unabhängig vom übrigen Australien zu sein, druckte er sein eigenes Geld und Briefmarken mit seinem Konterfei. Heute ist es still um ihn geworden.
Bis zum Billabong Roadhouse, unserem Stop für diese Nacht, sind es noch 200 Kilometer. Ein weißes Schild mit der Aufschrift „26th parallel – you're entering the North West“ taucht kurz im Scheinwerferlicht auf. Wer nördlich dieses Breitengrades lebt, kommt in den Genuß von Steuervorteilen. Die Lebensbedingungen sind hart in diesem Teil des isoliertesten und am dünnsten besiedelten Staates Australiens.
Nur 1,55 Millionen Menschen leben in Westaustralien, das siebenmal so groß wie Deutschland ist. Das sind weniger, als Hamburg Einwohner hat. Mehr als eine Million davon leben allein in Perth. Neben der erbarmungslosen Hitze ist es vor allem die Isolation, die das Leben der Menschen in dieser Region bestimmt.
Nach siebeneinhalbstündiger Fahrt halten wir an. Für Jane geht ein langer Tag zu Ende. Während sie in ihrer Koje sofort einschläft, mache ich es mir mit einer Matratze und einem Schlafsack auf dem Dach der Zugmaschine bequem. Über die schwarze Stille spannt sich ein phantastischer Sternenhimmel, auf dem die Milchstraße wie ein helles Band schimmert. Ein paarmal schrecke ich hoch, als andere Roadtrains röhrend vorbeifahren. Gott sei Dank sind es nicht viele.
Unsere Nachtruhe dauert nur vier Stunden, mehr ist nicht drin. Die Zeit sitzt uns im Nacken. Bei Sonnenaufgang sind wir schon wieder auf dem Highway. Wir beginnen den Tag mit unserem Horoskop, das Jane während der Fahrt aus einer Frauenzeitschrift auf dem Lenkrad vorliest. Die Landschaft ist eben, zu beiden Seiten säumen Wildblumen auf der rostroten Erde den Straßenrand. Das Pflücken der sogenannten Everlastings ist bei Geldstrafe verboten. „Ich liebe diese Landschaft.“ Die Begeisterung ist Jane anzusehen. „Jede Fahrt ist anders, immer sehe ich etwas Neues“, freut sie sich.
Eine Stunde später passieren wir das Overland Roadhouse. Die Landschaft hat sich mittlerweile in eine karge Steppe verwandelt. Sie ändert sich wieder, als wir die Gascoyne erreichen, eine Ebene, die nach dem gleichnamigen Fluß benannt wurde. Dieses fruchtbare Gebiet, in dessen Mitte Carnarvon liegt, ist besonders für seine Bananen bekannt. Im Carnarvon Roadhouse, 10 Kilometer außerhalb der Stadt, tanken wir 300 Liter Diesel nach. Frisch geduscht und mit einem Käsesandwich im Magen, geht es um 8 Uhr weiter. Wir kommen in die Gegend der großen Rinder- und Schaffarmen, deren Grenzen nicht selten 50 Kilometer entlang des Highways verlaufen. Plötzlich taucht ein winziger Punkt am Horizont auf. Beim Näherkommen entpuppt er sich als ein Radfahrer. Jane schüttelt den Kopf. „Der spinnt doch!“ Bepackt mit prallen Satteltaschen, radelt er mutterseelenallein in der erbarmungslosen Hitze durch diese gottverlassene Gegend. Ein entgegenkommender Roadtrain warnt uns über CB-Funk vor Rindern auf der Fahrbahn. „Thanks mate“, erwidert Jane und drosselt das Tempo. Nicht nur Känguruhs werden das Opfer von Zusammenstößen. Tausende von Rindern verenden jedes Jahr, weil die Trucks nicht rechtzeitig bremsen. Für PKWs haben solche Unfälle oft fatale Folgen.
Bizarre, bis zu zwei Meter hohe, dunkelrote Termitenhügel tauchen auf. Wir überqueren den Tropic of Capricorn. Nur vereinzelt unterbrechen trockene Mulga- Büsche das endlose Nichts zu beiden Seiten der schnurgeraden Betonspur.
„Als Fahrer muß man hier auf alle Eventualitäten eingestellt sein“, erklärt Jane. „Die Straßen sind einsam, Teilstrecken sind unbefestigt und keine Werkstatt weit und breit.“ Die Welt der Truckies ist rauh und einsam. „One man one truck“, heißt es. Manchmal fahren die Frauen der Fahrer mit, um ihnen Gesellschaft zu leisten. Einige übernehmen auch das Steuer, während ihre Männer schlafen. Was das Schlimmste für sie sei? „Der permanente Zeitdruck“, antwortet Jane. „Da ist nicht viel Zeit für Schlaf.“ Weil es in Westaustralien noch keine Vorschriften für geregelte Fahrtunterbrechungen gibt, fahren viele Truckies bis zur totalen Erschöpfung.
Um sich die Zeit zu vertreiben, leiht Jane sich Kassetten mit Hörspielen aus der Bibliothek, die sie während der Fahrt hört. Sie schiebt „Murder in Government House“ in den Recorder, und wir lauschen der Kriminalgeschichte bis zum nächsten Reifencheck.
Wir kommen durch Nyong, den Ort in Westaustralien mit den meisten heißen Tagen im Jahr. Die Temperaturen klettern hier spielend auf 45 Grad und mehr.
Kurz hinter dem verlassenen Barradale Roadhouse ist ein Känguruhjäger zu Hause. Neben seinem Wohnwagen steht ein Kühlcontainer. Jedes Jahr werden in Australien Hunderttausende von Känguruhs zum Abschuß freigegeben, die zu Tierfutter verarbeitet werden.
Auf einer einspurigen Brücke überqueren wir den Ashburton River. Ein Keilschwanzadler kreist majestätisch in der Luft. Die Schatten der „Lady Jane“ werden immer länger. Kurz nach 17 Uhr erreichen wir Karratha Roadhouse. In der mit Postern geschmückten Raststätte serviert Beryl uns ein tellergroßes Steak. Sie freut sich über den seltenen Frauenbesuch. Während wir essen, beobachten wir einen dramatischen Sonnenuntergang. Schon sind wir wieder auf dem Highway. Im Scheinwerferlicht fliegen große Motten auf uns zu und enden an der Windschutzscheibe. Wir durchfahren Roeburne. Die Hauptstraße ist wie leergefegt, der Pub geschlossen. Der Ort ist bekannt für die Zusammenstöße zwischen Ureinwohnern und ansässigen weißen Australiern.
Nach 17stündiger Fahrt halten wir diesmal schon um halb 10. Wieder verbringe ich die Nacht unter dem Sternenhimmel, oder, besser
Fortsetzung nächste Seite
...Fortsetzung
gesagt, die halbe Nacht. Um 1Uhr reißt mich der Wecker aus meinen Träumen. Weiter geht's. Noch 124 Kilometer bis Port Hedland. In dieser Region, der Pilbara, gibt es riesige Eisenerzvorkommen. Um 20 nach 3 erreichen wir Hedland. Nur ein paar trübe Straßenlaternen beleuchten die ausgestorbenen Straßen. Von hier aus wird das Eisenerz in alle Welt verschifft. Wir unterhalten uns über unsere Zukunft. „Wenn ich hiermit aufhöre, möchte ich auf einer kleinen Farm in der Nähe von Geraldton leben“, lächelt Jane. Seßhaft werden und ohne Zeitdruck leben, das sind ihre sehnlichsten Wünsche. „Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg“, fügt sie seufzend hinzu. Immer noch herrscht völlige Dunkelheit. An einer unscheinbaren Kreuzung biegen wir auf die unbefestigte Straße zur „Shay Gap“-Eisenerzmine ab. Nur noch 70 Kilometer, dann sind wir am Ziel. Kurz hinter der Kreuzung liegt Goldworthy, ein verlassenes Bergarbeitercamp. Jedes Jahr im März findet auf den 90 Kilometern zwischen diesem Camp und Port Hedland das „Black Rock Stake“-Rennen statt. Bei diesem Rennen geht es darum, welches Vierer-Team eine mit Werkzeug beladene Schubkarre am schnellsten nach Port Hedland schiebt. Der Rekord liegt bei viereinhalb Stunden.
Im Morgengrauen erreichen wir Shay Gap. Hier entladen wir die 70 Tonnen Nitrat, die in ein unterirdisches Silo gefüllt werden. Kurz vor Mittag, die Sonne steht senkrecht am Himmel, sind wir fertig. Verschwitzt und verstaubt klettern wir in das Führerhaus und machen uns auf den Rückweg.
Ich verabschiede mich in Port Hedland von Jane, wo sie mich vor meinem Hotel absetzt. Als sie abfährt, hupt sie noch einmal und ruft unter dem Getöse des Motors: „Danke für die Gesellschaft!“
Während ich im Hotel dusche und mich nach einem Bett sehne, ist Jane auf der Rückfahrt dieses für australische Verhältnisse kurzen Trips. In anderthalb Tagen, in denen sie vielleicht vier Stunden schlafen wird, werden Max und Eric sie freudig begrüßen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen