Getanzter Widerstand

■ Eine nicaraguanische Eulenspiegelgeschichte

Ein Kinderbuch über die Folgen der Eroberung Amerikas, über Unterdrückung und Widerstand der Indios, über die subversive Macht der Machtlosen – wer fürchtet da nicht den bis zum Überdruß bekannten sozialaufklärerischen Gestus. Doch umsonst gefürchtet! Die Geschichte von Güegüense, „dem schlimmsten der Indianer“, ist eine Geschichte, die nicaraguanischen Kindern seit Jahrhunderten erzählt wird. Jetzt ist sie erstmals auch hierzulande zu lesen und in eindrucksvollen farbigen Illustrationen zu betrachten – ein pures Lese- und Schauvergnügen.

Der fette, schlechtgelaunte Statthalter der spanischen Eroberer, Don Gregorio, hetzt seine heruntergekommenen und sichtlich demotivierten Schergen gegen die Indios, um von ihnen Gold, Geld oder Naturalien einzutreiben. Doch alles, was er bekommt, ist ein unbändiges Lachen. Längst sind nämlich Land und Menschen ausgeplündert. Die Maiskolben, Hühnereier und selbstgewebten Stoffe aber, mit denen die Indios einen bescheidenen Handel treiben, rücken sie nicht heraus. Nur einen Haufen Ziegenmist bietet Güegüense dem Mächtigen an: „Der Herr Statthalter kann sich darauf setzen und seinen Hintern wärmen, wenn es ihn friert.“

Nicht genug damit, daß die Indios die Abgaben verweigern und dabei auch noch frech werden. Zu allem Überfluß nutzen sie auch noch jede Gelegenheit, um aufs Ausgelassenste zu tanzen und zu lachen. Das wird nun zur Strafe für die allgemeine Unbotmäßigkeit strengstens untersagt – schließlich hat der mangels Ausbeutungsmasse von Verarmung bedrohte Don Gregorio ja seinerseits nichts zu lachen. Und daß auch er tanzen könnte, wenn er denn wollte, das bleibt lange Zeit unvorstellbar, so aufgeblasen und in Herrschaftsposen erstarrt residiert er zwischen Aktenbergen (in denen sich derweil die Mäuse tummeln) und unter einem Gemälde, das einen gefesselten Indio unter dem Stiefel eines Conquistadors zeigt.

Wie es dem „respektlosen, aufmüpfigen, schlauen, spitzbübischen und immer zum Tanzen aufgelegten Güegüense“ schließlich mit Hilfe seiner beiden Söhne und der Tochter des Statthalters dennoch gelingt, Don Gregorio zum Tanzen, Singen und Feiern mit den Indios zu bewegen, das ist unterhaltsam geschrieben und prächtig illustriert.

Meine Lieblingsszene: Güegüense und seine Söhne Ambrosio und Forcico haben den Sack gepackt, mit dem sie wie jeden Morgen auf den Markt ziehen werden, um ein wenig Mais zu verkaufen, ein paar Eier, dazu Maisschnaps in Krügen. Ein recht armseliges Angebot. Doch was tun sie, bevor sie sich auf den Weg machen? Sie tanzen, „um fröhliche Laune zu bekommen“. Prädikat: Nachahmenswert!

Mein Lieblingsbild: Tief muß sich der dicke Statthalter bücken, um seinem Untertanen ins Gesicht sehen zu können, denn der steht kopf. Forcico, der eigentlich Don Gregorio als Leibeigener dienen sollte, tanzt statt dessen lieber auf den Händen und schlenkert dabei mit den Beinen in der Luft herum. Eine der Palastmäuse macht es ihm nach, die Schriftstücke voller Verbote und Erlasse wirbeln umher; ein leichtfüßiger, akrobatischer Umsturz.

Den NicaraguanerInnen Maria Lopez Vigil (Text) und Nivio Lopez Vigil (Illustrationen) ist es gelungen, eine ganz und gar vergnügliche Geschichte vom Widerstand zu erzählen, die ganz nebenbei und unaufdringlich auch Kenntnisse über Traditionen, Kultur und Lebensumstände der Indios nach der spanischen Eroberung vermittelt. Hierin genau besteht auch das Anliegen des „Solidaritätsfonds e.V.“, der durch einen Zuschuß dieses Buchprojekt unterstützt hat, so daß demnächst auch eine preiswerte spanische Ausgabe in Nicaragua erscheinen kann.

Der Peter Hammer Verlag möchte das Buch über Güegüense, den nicaraguanischen Eulenspiegel, als „Widerspruch“ zu den offiziellen Kolumbusfeierlichkeiten verstanden wissen und plant, die Zusammenarbeit mit dem Solidaritätsfonds fortzusetzen.

Eltern und ErzieherInnen, die demnächst dieses Buch zum Vorlesen und Vorzeigen in die Hand nehmen wollen, sei bei aller Begeisterung eine Warnung mit auf den Weg gegeben: Die Bilder zeigen, was der Text verdreht – und was die aufgeweckten Kurzen sicher bald entdecken werden: Der listige Güegüense ist kein Indio, sondern ein Mestize. Die Geschichte stammt eben nicht, wie uns nahegelegt werden soll, aus der unmittelbaren Eroberungszeit, auch wenn das natürlich viel besser ins Kolumbusjahr gepaßt hätte. Da ist der gute antikolonialistische Wille dann doch mit dem Verlag durchgegangen, völlig überflüssigerweise übrigens, ist doch diese Geschichte viel zu erzählenswert und unbelehrend-lehrreich, als daß sie solcher Tricks bedürfte. Trotz dieses Einwandes also: Güegüense lesen – und tanzen lassen! Sabine Berloge

Maria Lopez Vigil: „Die Geschichte des respektlosen, aufmüpfigen, schlauen, spitzbübischen und immer zum Tanzen aufgelegten Güegüense“. Illustrationen: Nivio Lopez Vigil. Aus dem Spanischen übertragen von Renee Steenbock. Deutsche Textbearbeitung: Jürgen Moysich. Peter Hammer Verlag, Wuppertal, gemeinsam mit dem Solidaritätsfonds e.V., Hamburg 1992, 29.80 DM