Der Türke war's

■ Aus dem Jugendalltag in Kreuzberg

„Ich denk' die ganze Zeit: ,Ach du Scheiße, der Türke war's.‘“ So macht ein Gesamtschüler seiner Spannung Luft, mit der er eine Lesung der Berliner Autorin Heike Brandt an seiner Schule verfolgt hat.

„Wie ein Vogel im Käfig“ heißt ihr Roman, der in diesem Herbst im Verlag Beltz und Gelberg erschienen ist. Vieles von dem, was hier erzählt wird, kennen die Schüler aus ihrem Alltag: heimliches Rauchen auf dem Klo, offene und versteckte Liebesgeschichten, Zoff mit Lehrern und untereinander, jede Menge Sprüche, Anmache, auch Schlägereien. Rebecca, die Hauptperson des Buches, kommentiert: „Schläge, Messer, Knarre. Bumm. Der letzte macht das Licht aus.“ Sie ist wütend über die Typen, denen offensichtlich nichts anderes als Gewalt einfällt.

Ihre Freundin Petra ist mißhandelt und vergewaltigt worden und zwar von Halef, einem türkischen Mitschüler. Das jedenfalls hat Petra bei der Polizei angegeben. „Typisch Türke“ ist eine der Reaktionen an der Schule, ist natürlich auch der Tenor der Sensationspresse, die sich sofort über den Fall hermacht. Halef selbst streitet alles ab.

Rebecca findet sich nicht mehr zurecht. Einerseits kann sie sich Halef nicht als Vergewaltiger vorstellen; er ist der beste Freund ihres Bruders, und insgeheim hatte sie ein Auge auf ihn geworfen. Andererseits glaubt sie ihrer Freundin Petra unbedingt und gerät darüber in einen heftigen Konflikt mit ihrem Bruder, der wiederum bedingungslos zu seinem Freund steht. In Briefen aus dem Gefängnis beteuert Halef immer wieder seine Unschuld und beschreibt seine Situation in der Haft: „Wie ein Vogel im Käfig“. Wie also war es wirklich?

Petra hatte die Vergewaltigung nicht erfunden, aber der Täter war nicht Halef, sondern ihr Vater. Er hatte sie dazu gebracht, Halef anzuzeigen. Die ganze Geschichte ereignet sich inmitten des Alltags von Kreuzberger Jugendlichen. Von der Strahlenbelastung türkischer Haselnüsse bis zu den Krawallnächten um den 1. Mai werden viele Themen angeschnitten, die für die eigentliche Handlung des Romans keine Funktion haben. Sie wirken im Zusammenhang der Geschichte nicht unbedingt falsch, teilweise aber überflüssig. Dennoch ist das Buch gerade auch solchen Jugendlichen zu empfehlen, die sonst mit Büchern wenig zu tun haben. Sie können sich selbst darin wiederfinden, und es ist leicht zu lesen. Das Richtige also auch für Lese-Unerfahrene ab 13 Jahren. Dagmar Haake-Theurer

Heike Brandt: „Wie ein Vogel im Käfig“, Beltz und Gelberg 1992, 22 DM